Open Source Marketing

Ob der Begriff den Kern der Idee trifft, weiß ich noch nicht – aber der Ansatz ist interessant. Vieles von dem, was jetzt als Open Source Marketing bezeichnet wird, stand schon im Cluetrain Manifesto (das übrigens derzeit eine erstaunliche zweite Karriere erlebt – es war wohl seinerzeit, im Jahr 1999, einfach etwas zu früh dran).

Einen guten Überblick gibt ein Artikel von James Cherkoff (jetzt bei Companice als deutsche Übersetzung), in dem er auch acht Prinzipien des Open Source Marketing benennt. Ein Beispiel:

4. SEI EIN MARKEN-MODERATOR
Marken-Moderatoren wissen, dass die Zeit der "Markenwächter" vorbei ist
und diese für den Markt nicht länger von Bedeutung sind. Der
Verbraucher von heute will von großen, aufregenden und attraktiven
Marken involviert werden, in ein Gespräch verwickelt, aber auf seine
Weise. Marken können die Party schmeißen und versuchen, sie für die
Verbraucher attraktiv zu gestalten, aber sie müssen erkennen, dass der
neue Verbraucher einen vollen Terminkalender und viele Angebote hat.

Tatsächlich entstehen und leben Marken im Dialog mit dem Verbraucher (für den wahrscheinlich auch noch ein anderer Begriff gefunden werden muss, denn die klassische Arbeitsteilung zwischen Hersteller und Verbraucher weicht ja gerade auf). So ganz neu ist das auch nicht, denn viele der großen Marken sind erst groß geworden, weil sie im Gespräch waren und da auch blieben. Früher waren sie dafür auf den Handel angewiesen – aber der Handel hat letztlich an seiner eigenen Abschaffung gearbeitet, indem er den Dialog, weil zu teuer, konsequent wegrationalisiert hat, wo es nur ging.

Werbung schalten, wo ich gucke

Ein Vorstand googelt und findet seine Werbung nicht weit genug oben. Das geht gar nicht, meint er, schließlich will er ist sein Unternehmen die Nummer eins sein. Wie, der Cost per Click ist zu hoch und das Budget für Suchmaschinen-Marketing zu klein? Dann wird es halt erhöht – und dafür entsprechend weniger Geld in die Klassik gesteckt. Werberealität anno 2005.

Wie in alten Zeiten, als die Marketingdivision von Otto jede Plakatfläche und jedes Citylight im Hamburger Nordosten zupflasterte, sofern sie nur am täglichen Arbeitsweg von Michael Otto lagen. Ob Print, TV oder Online – die Mechanismen bleiben die gleichen: Sichtbarkeit für die eigenen Top-Entscheider ist überlebensnotwendig. Eine Kampagne, die der Chef nicht sehen kann, hat keine Existenzberechtigung.

Neu ist nur, dass die unscheinbaren Textlinks in einer Suchmaschine offenbar inzwischen der Anzeige im Spiegel oder dem Spot vor der Tagesschau das Wasser reichen können. Was folgt daraus? Sofort Google-Aktien kaufen.

Marken in Bedrängnis

Was Flagship-Stores für Adidas & Co. sind, das ist die Autostadt für Volkswagen und – neuerdings – die Dr. Oetker Welt für das westfälische Puddingimperium (das längst, wie Markus Breuer weiß, sein Geld mit anderen Dingen verdient). "Haben die das nötig?", fragt der Ex-Geschäftsführer von Elephant Seven. Ich würde sagen: ja.

Denn da der Handel für mehr und mehr Marken als adäquater Präsentator ausfällt, sind sie zum Gegensteuern gezwungen. Und da bleiben einer Marke wie Oetker nicht viele Optionen – denn eigene Läden aufzubauen wird wohl kaum möglich sein.

Zuerst die Idee!

Viele Marken sind eng mit ihren Erfindern verbunden – oft Unternehmensgründern – und stehen für eine Idee: eine (auch, aber nicht nur) wirtschaftlich erfolgreiche Idee. Gründerpersönlichkeit und Markenidee bilden sozusagen die Seele eines Unternehmens, die verloren geht, sobald besoldete Manager das Ruder übernehmen. Hans Domizlaff brachte diese Einsicht schon vor über 30 Jahren zu Papier:

"Alle schöpferisch entstandenen Großunternehmungen sind von ihren Schöpfern in der Entstehungszeit keineswegs ausschließlich zum reinen Gelderwerb erdacht worden. Selbstverständlich wollte man wie Siemens und Reemtsma u.s.w. damit
einen wirtschaftlichen Erfolg erreichen, aber zuerst war die Idee
maßgebend, in irgendeiner Art immer erfinderisch, und stets so
maßgebend, dass andere Wirtschaftsziele nicht mehr interessant genug
waren, um mit konjunkturellen Chancen abzulenken."

Das komplette Zitat hat Karl-Heinz von Lackum in seinem WerbeBlog veröffentlicht.

Mit dem Logo gewinnen

Wwtlpcam_1Seit gestern ist nun die neue "Winning with the Logo"-Kampagne der Deutschen Bank gern gesehener Gast im Werbeblock. Wie ich finde, ein sehr schönes Beispiel für den Trend, dass Marken immer direkter werden. Auch wenn dieses vielleicht nicht primär mit der Kampagne beabsichtigt war: Marke und Kunde sind die eigentlichen Heros des neuen Auftritts; die Mittler verschwinden. Als typischer Kunde der Blauen nutze ich dreimal die Woche die Website, einmal den SB-Automaten – und meine Heimatfiliale habe ich seit Jahren nicht mehr gesehen.

Click and Mortar – Die nächste Generation

Erinnert sich jemand an die Zeiten, als libri.de noch eine Innovation war? Damals ging es darum, dem stationären Buchhandel ein Fenster zum E-Commerce zu öffnen. Und nach wie vor bietet Libri die Möglichkeit, bestellte Bücher beim lokalen Buchhändler abzuholen und so die sonst vielfach fälligen Versandkosten zu sparen (was natürlich unattraktiv ist, solange Amazon Bücher kostenfrei versendet).

Nun gibt es aber tatsächlich einen Vorteil des Buchladens, den kein Online-Shop bieten kann: Er hält stets ein Sortiment vorrätig. Ist mein gewünschtes Buch im Laden vorhanden, kann ich es sofort kaufen, abholen und lesen. Es gibt durchaus Buchkäufer, die dies zu schätzen wissen.

Was wäre nun, wenn ich im Internet recherchieren könnte, ob mein gesuchtes Buch in einem nahe gelegenen Buchladen im Regal steht? Ich würde den Laden aufsuchen und dort kaufen! Jedenfalls, wenn es eilig wäre. Genau diesen Service bietet die US-Buchkette Borders, die ironischerweise eine Partnerschaft mit Amazon unterhält. Leider ist die Inventory Search auf der Website praktisch nicht aufzufinden, wie Eric G. Myers zu Recht beklagt.

Was Myers, der sich hauptberuflich mit Web-Strategie, -Management und -Design befasst, über sein Buchkonsumverhalten schreibt, ist Pflichtlektüre für jeden E-Commerce-Verantwortlichen im Buchhandel. In Deutschland kenne ich etwas mit der Inventory Search Vergleichbares bislang nur im antiquarischen Bereich: bei zvab.com (das übrigens von Mediantis betrieben wird, ehemals buecher.de) und abebooks.de. Aber das ist ja ein völlig anderes Geschäft.

Flagship-Stores (1): Der Fall Adidas

Adidas eröffnet demnächst ein Adidas Performance Centre auf der Zeil in Frankfurt. Werbewunderland hat das Plakat, mit dem die Eröffnung beworben wird. Der wirklich grauenhaften Website von Adidas ist zu entnehmen, dass der neue Flagship-Store der fünfte seiner Art in Deutschland sein dürfte.

Adidas betreibt in Berlin, Köln und München sogenannte Adidas Originals Stores und einen Adidas Concept Store in Nürnberg. Ein weiteres Adidas Performance Center ist für Stuttgart annonciert (und die Schreibweise auf der Website in der Tat unterschiedlich: Centre in Frankfurt, Center in Stuttgart).

Und wo bleibt der Flagship-Store im Internet? Fehlanzeige. Adidas-Produkte gibt es laut Website im Champions Store der UEFA, bei Sport Scheck, bei Otto und bei All Blacks. Und natürlich bei Ebay, aber das wird den markenbewussten Strategen in Herzogenaurach wahrscheinlich nicht so sehr gefallen.

Markenerlebnisse

AdAge hat einen Artikel [kostenlose Registrierung erforderlich] über die keinesfalls neue, aber nach wie vor aktuelle Frage, ob der Massenmarkt tot sei. Rance Crain vertritt darin die These, dass dem keinesfalls so sei. Vielmehr seien die Agenturen schlicht nicht mehr kreativ genug, um klassische Werbung zu machen, die auch verkauft.

Kann sein. Brand Noise allerdings sieht die Sache etwas anders:

The new age of advertising has to leverage a "pull model".  The bad  in advertising  is pushing ideas into new channels without a sense of what value they have in the arenas people interact with them.  An old "push media" approach to emerging channels. We need to be seeking functioning brand experiences with consumers.  Brands that do – not just say. Great traditional creative can certainly play a role in this.  The question is how well we are orchestrating the "whole picture" to make the brand authentic and invited.

So ist es. Und an dieser Stelle sind klassische Agenturnetzwerke meistens völlig überfordert. Aber nicht, weil es ihnen an der nötigen Kreativität mangelt.

Sind alle Markthändler Lügner?

Godin Seth Godin erinnert physiognomisch ja doch ein wenig an Holger Jung. 😉 Aber Scherz beiseite. Im Mai erscheint sein neues Buch All Marketers are Liars. Eine schwere Anschuldigung, die wir Fischmarkthändler natürlich nicht auf uns sitzen lassen können.

Godin nutzt für die Promotion ein separates Blog neben seinem regulären Blog (den Hinweis verdanke ich Bjoern Ognibeni, der seine Selbstbeschreibung mit dem gleichen Zitat aus dem Cluetrain Manifesto beginnt wie der Fischmarkt – wir haben das nicht von ihm geklaut, ganz sicher…). Das Blog ist eine recht anregende Lektüre.

Sein aktuell neuester Eintrag bezichtigt den Designer Milton Glaser der Lüge. Man weiß nicht ganz genau, wieviel davon augenzwinkernd zu betrachten und was ernst gemeint ist.

Aber vielleicht ist die Assoziation mit Holger Jung doch nicht so ganz falsch. Schließlich stammt aus seiner Agentur der berühmte Saturn-Slogan "Geiz ist geil", der seinerzeit in der Werberzunft mit überaus gemischten Gefühlen aufgenommen wurde. Erst jüngst So distanzierte sich Erik Spiekermann in einem Interview mit deutlichen Worten davon.

Geiz ist geil ist tatsächlich eine Lüge im Sinne Godins. Der Spruch kombiniert auf geniale Weise zwei Todsünden – Geiz und Wollust. Allerdings spielt er mit der Umwertung des immer schon ambivalenten Adjektives geil. Diese Neuinterpretation erst hat das Wort aus seinem sexuellen Kontext entlassen und es so ermöglicht, den Slogan auch anders als reine Obszönität zu lesen.