Perspektivumkehr

Es wird immer schwerer, das Leben. Muss am vorgerückten Alter liegen. Oder ist es nur ein postfrakturelles Trauma? Wie auch immer: Auch Medienschaffende müssen immer mehr kämpfen. Jüngste Beispiele:

  • Thomas N. Burg, gerade frisch zusammen mit dem Fischmarkt auf einer Liste, bekommt einen Satz Fragen per Mail, beantwortet sie schön brav – und stellt die Antworten prompt ins Netz. Exklusivität war gestern. (Es geht übrigens um Medien und Web 2.0, aber das nur nebenbei. Diese ungefilterte Vorabveröffentlichung ist dann gleich ein Schnellkurs für den fragenden Journalisten.)
  • Harald Schmidt, bekennender Internet-Anfänger („Ich google meinen Namen einmal pro Stunde“), wird von Tita von Hardenberg in seiner Show mit einer Handkamera gefilmt (oder so ähnlich). Die Polylux-Frontfrau bewirbt damit ihr heute startendes polyblog polylog, wo das Video dann auftauchen soll.
  • Handelsblatt-Journalist Thomas Knüwer, selbst Blogger, sieht sich plötzlich der gezückten Kamera von Lukasz Gadowski gegenüber. Der Spreadshirt-Frontmann führt damit ein Interview für sein Blog Gründerszene.

Und das ist sicher noch nicht alles.

Mitfahrgelegenheit gesucht

muente.jpg So ein Ding wie Münte trage ich seit dem heutigen Nachmittag auch am rechten Bein. Früher wäre das Bein für vier Wochen eingegipst worden, heute gibt es Hochtechnologie für den gleichen Zweck.
Nur Autofahren kann ich damit nicht. Fährt zufällig ein Fischmarkt-Leser aus Richtung Altes Land zur Arbeit gen Hamburg-Ottensen? Mitfahrgelegenheit gesucht! Ernstgemeinte Zuschriften sowie Spott aller Art bitte an m.recke@fischmarkt.de adressieren.
Foto: Bild.T-Online.de

Pitch Fever

Böse Zungen behaupten, der Pitch sei eine Unart, die unsere Branche von den Werbern übernommen hat. (Dem branchenfremden Leser sei zunächst kurz erklärt, dass ein Pitch eine Wettbewerbspräsentation ist, zu der potentielle Auftraggeber mehrere Agenturen einladen, um am Ende mit einer von ihnen eine mehr oder weniger dauerhafte Zusammenarbeit zu beginnen.)
Erik Spiekermann, einer der ganz Großen, ist kein Freund solcher Veranstaltungen. Er schreibt:

Das englische Verb bezeichnet das Werfen mit dem Baseball, das englische Substantiv bedeutet schlicht Pech, und zwar das Zeug, das mit Schwefel untrennbar zusammenhält. Pech haben auch die Teilnehmer eines solchen Zufallswurfes, die leer ausgehen. Wer zum Pitch einlädt, bei dem es gewöhnlich ein Anerkennungshonorar gibt, das kaum die Kosten für die Farbdrucke deckt, meint Entscheidungshilfen zu bekommen für eine Kommunikationsaufgabe. In Wirklichkeit ist es aber so, als ginge der Auftraggeber nacheinander in mehrere Restaurants, esse von jedem Tellerchen ein wenig und erkläre anschließend, er habe jetzt keinen Hunger mehr und bezahle nichts, weil ja kein Gericht seinem Geschmack entsprach.

Besser lässt sich das alte Problem nicht auf den Punkt bringen. Gescheitert sind alle Versuche, mit Hilfe von Regularien wenigstens die schlimmsten Übel abzustellen. Die Agenturen fügen sich ins Unvermeidliche und werfen weiter ihren Baseball, um die Chance auf einen Treffer zu wahren. Noch einmal Spiekermann:

Warum meinen aber immer mehr Auftraggeber, sie müssten „pitchen“ lassen und viele Designer, sie müssten teilnehmen? Weil Dummheit, Faulheit, Eitelkeit und Feigheit – die vier apokalyptischen Reiter des Gewerbes – so heftig mit den Hufen trampeln, dass der Vernunft schwarz vor Augen wird, pechschwarz.

So schwarz sehen wir hier nicht. Matt Balara aus den SinnerSchrader Studios sieht die Dinge eher pragmatisch:

There’s no point in complaining about the pitch process. It’s the standard way to win new clients in our industry, as well as in advertising, architecture and others. However, since I’ve been pitching quite a lot in the last couple of years, I’d like to take a look at how they work, and how they could work better.

Matt hat eine Reihe von Lehren aus seiner jahrelangen Pitcherfahrung gezogen. Hier seine Empfehlungen an Unternehmen, die zum Pitch einladen.

Übrigens

  • Die Netzpiloten wollen im September Blogpiloten.de starten, „eine zentrale Umschau über die wichtigsten deutschen Weblogs“. Die Kreation der Website übernimmt Fork Unstable Media.
  • Die Website arena.tv hat es in den Netzfrühling geschafft. Was bedeutet, dass sie standardkonform ist (worauf die Studios generell größten Wert legen).
  • Aus ibusiness – inklusive Joachim Graf wirklich ein Urgestein der Branche – wird im September ibusiness 3.0, „ein Wissenportal und Trendscouting für New Media Manager“. Und webzwonullig wird’s auch. Wir sind gespannt.

Mit diesen drei Informationshäppchen entlässt der Fischmarkt seine geneigte Leserschaft ins verdiente Wochenende.

Ajax in der Praxis

Wie Ajax die Praxis verändert, hat Hendrike Heydenreich, Frontend-Spezialistin bei SinnerSchrader Neue Informatik, in einem Gastbeitrag für die Computerwoche beschrieben. Ein Auszug:

Ajax ist bisher vor allem in Verbindung mit Web-2.0-Websites intensiv eingesetzt worden. Vorreiter beim Einsatz dieser Technik sind (häufig sehr kleine) innovative Internet-Unternehmen und Startups. Die Entwicklung der entsprechenden Anwendungen ist durch Geschwindigkeit und Pragmatismus in einem kleinen Team von Spezialisten geprägt, die sich schnell und informell austauschen können. Häufig sind es sogar dieselben Personen, die die fachlichen Anforderungen definieren und diese auch umsetzen. In der Literatur werden solche Entwicklungsprozesse als „agile Programmierung“ bezeichnet: Iterative Entwicklungsmethoden werden verwendet, um schnell prototypische Ergebnisse zu schaffen und diese kontinuierlich zu verbessern. Es ist auffällig, dass viele Web-2.0-Anwendungen das Betastadium bewusst nicht verlassen.
So wirkungsvoll diese Arbeitsmethoden für den oben beschriebenen Einsatz auch sein mögen, für die Entwicklung von unternehmensinternen Anwendungen oder Internet-Präsenzen großer Unternehmen sind sie nicht ohne weiteres geeignet. Hier gilt es neben der Einführung neuer Funktionen auch Sicherheit in Bezug auf die Erfüllung fachlicher Anforderungen sowie auf die Einhaltung von Kostenrahmen und Zeitplänen zu gewährleisten. Nicht selten müssen Funktionen und Technik auch mit verschiedenen Stakeholdern abgestimmt werden. An der Erstellung eines – zumindest groben – Konzepts führt daher kein Weg vorbei, auch wenn das klassische Wasserfallmodell mit Grobkonzept, Feinspezifikation und Implementierung sicher nicht optimal zur Entwicklung von Ajax-Anwendungen geeignet ist.
Wie kann nun Ajax unter Nutzung eines konventionellen Entwicklungsprozesses, wie er in den meisten Projekten im professionellen Umfeld vorgegeben ist, eingesetzt werden? Bei Ajax handelt es sich um eine Technik, bei der die technischen und fachlichen Aspekte eng und beinahe untrennbar miteinander verbunden werden. Bei der Konzeption wird daher weder ein allein fachlich getriebener Berater noch ein reiner Techniker zu den gewünschten Ergebnissen kommen. Stattdessen ist eine neue Rolle gefordert: der User-Interface-Designer. Dabei handelt es sich um eine Person, die die fachlichen Aspekte der Nutzerführung ebenso versteht wie die Aspekte der technischen Umsetzung.
Idealerweise ist diese Person auch in der Lage, einfache Anwendungen selbst zu entwickeln und somit während der Konzeption kleinere Prototypen zu erstellen. Solche Prototypen haben sich als extrem wichtig und hilfreich erwiesen. Sie schaffen nicht nur Sicherheit in Bezug auf die Erfüllung der fachlichen Anforderungen, sondern gestatten auch erste Tests bezüglich des Verhaltens der Anwendung unter verschiedenen Bedingungen, zum Beispiel bei verschiedenen Bandbreiten oder Bildschirmauflösungen. Diese Prototypen lassen sich dann entweder direkt als Teil der Anforderungsdefinition verwenden (fachlich und technisch), oder die Eigenschaften des Prototyps werden noch einmal, wie gewohnt, schriftlich dokumentiert. Dabei folgt hier die formale Dokumentation dem getesteten und funktionierenden Konzept und nicht umgekehrt – eine Erfahrung aus dem fulminanten Erfolg der Web-2.0-Projekte.

Den ganzen Artikel gibt es in Heft 33/2006, erschienen am 18. August.