Netzträume

HandelsblattWas die FAZ kann, kann das Handelsblatt schon lange: Und was dem einen sein zweites Web-Wunder, ist dem anderen die Serie Neue Netzträume. (Nebenbei bemerkt, liebes Handelsblatt: Ist eine auch online auffindbare Startseite für die Serie wirklich zuviel verlangt? Wie das geht, zeigen die Kollegen bei der FAZ. Die Popup-Grafik bei Euch rockt wirklich nicht. Die Adresse musste ich aus dem gedruckten Blatt abschreiben.)

In der heutigen 4. Folge befasst sich Tanja Kewes mit dem Einzelhandel. Zentrale Botschaft: Immer mehr Umsatz wandert vom stationären Handel und dem klassischen Versandgeschäft ins Web. Von dieser Entwicklung profitieren vor allem die großen Handelsunternehmen (Otto, KarstadtQuelle, Tchibo). Für alle anderen bleiben Ebay und das Amazon-Partnerprogramm. Lebensmittel gehen im Web gar nicht. Wachstum findet derzeit bei Software und digitaler Musik statt.

Otto trägt mit 2,2 Mrd. Euro Online-Umsatz im Jahr 2004 rund ein Viertel zum gesamten Umsatzvolumen bei. In ähnlicher Höhe bewegen sich übrigens die Zahlen von KarstadtQuelle: Bis Ende Juli erreichten die Internet-Portale aus dem Reich des Thomas Middelhoff ein Bestellvolumen von 1,03 Mrd. Euro.

Der erste simyo-Klon

Debitel_lightVoilà, der erste echte simyo-Klon ist am Start: Einheitspreis, keine Subvention, keine Beratung. Doch halt – wer die Website von Debitel light aufruft, blickt in die Augen eines weiblichen Avatars. Er möchte beraten. So ganz scheint man bei Debitel dem selbstinformierten Konsumenten also nicht zu trauen. Welche Fragen den vor allem männlichen Testern so im Hirn rumschwirren, läßt sich schön im Teltarif-Forum nachlesen. Diese kleine Feldstudie beweist wieder einmal, wie wichtig Unterhaltung als Unterscheidungsfaktor im E-Commerce ist. Doch es tauchen neue Fragen auf: Wird Cycosmos wiederbelebt? War SIMone mal mit E-Cyas zusammen, und kennt sie eigentlich Eve?

Renaissance der Software

Für einen Trend ist es vielleicht zu früh, aber jedesmal, wenn ich über iTunes lese, frage ich mich, warum es niemand thematisiert: Einige E-Business-Modelle setzen nicht mehr auf Websites als Geschäftsplattform, sondern auf Stand Alone Software mit Internetanbindung. Der Musikshop ist das prägnanteste Beispiel, mir fallen aber mindestens noch Google Earth, Skype und Kazaa ein. Interessant ist der Trend deshalb, weil einerseits die Hürde zur Nutzung sehr hoch angesetzt wird – wer lädt sich schon gerne ein 20MB-Monster auf die Platte, um ein einzelnes Lied zu erwerben. Anderseits ist der Mehrwert offensichtlich. Formfaktor, Bedienqualität, Geschwindigkeit und Leistungsumfang sind deutlich besser als bei HTML- oder flashbasierten Applikationen. iTunes hat die Meßlatte in allen Punkten nochmals deutlich höher gehängt. Stehen wir also vor einer Renaissance der Software, jetzt inklusive Interaktivität?

Wunder

Erinnert sich noch jemand außer mir an jenen Song von Nena?

Wunder geschehn ich hab’s gesehn
es gibt so vieles was wir nicht verstehn
Wunder geschehn ich war dabei
wir dürfen nicht nur an das glauben was wir sehn

Seit vergangenem Sonnabend erklärt uns die FAZ in einer Serie Das zweite Web-Wunder. In seinem programmatischen Leitartikel nutzt Holger Schmidt das Traumpaar Döpfner/Google für einen fulminanten Einstieg ins Thema. Was er dann dem Einzelhandel diagnostiziert, entspricht vollkommen dem Credo des Fischmarktes:

Die
Umwälzungen im Handel stehen erst am Anfang. Aus Rücksicht auf ihren
stationären Vertrieb gewähren viele Unternehmen im Netz noch keine
Preisvorteile. Das wird sich bald ändern. In Zeiten eines schärfer
werdenden Wettbewerbs denken selbst große Autohersteller inzwischen
darüber nach, die Kostenvorteile des Direktvertriebs an ihre Kunden
weiterzugeben.

Wenn der
Vorteil groß genug ist, werden sich auch Produkte, die sich bisher
nicht als Web-tauglich erwiesen haben, im Netz verkaufen lassen.
Inzwischen werden sogar Grabsteine per Mausklick verkauft. Welche
Vorteile das Internet bieten kann, zeigt ein Beispiel aus der
Finanzbranche: Bauherren können mehrere Zehntausend Euro bei ihrem
Hypothekenkredit sparen, wenn sie Kreditmakler im Netz den Vorzug vor
klassischen Sparkassen oder Banken geben.

Für
den Einzelhandel kommt es aber noch dicker. Das Internet hat mit Ebay
ein mächtiges Paralleluniversum zum Handel möglich gemacht, das viele
Kunden aus den Läden fernhält. Produkte, für die es in der Zeit vor
Ebay gar keinen Markt gab, sind plötzlich leicht verkäuflich geworden.
Da Anbieter und Nachfrager beinahe ohne Transaktionskosten zueinander
finden, steigt die Popularität des Marktplatzes mit jedem neuen
Handelspartner. Heute nutzen mehr als zehn Millionen Deutsche Ebay und
mehr als Zehntausend Menschen haben ihren Arbeitsplatz als Ebay-Händler
gefunden.

Der Druck auf
den Handel kommt aber nicht nur von der Verbraucherseite. Da die
Produzenten die Endverbraucher heute am Handel vorbei direkt erreichen
können, haben sie ein Druckmittel in der Hand, die Margen des Handels
zu senken. Die Entwicklung in der Reisebranche hat gezeigt: Wenn die
etablierten Unternehmen das Internet nicht konsequent für den direkten
Kontakt zum Kunden einsetzen, tun es eben Neueinsteiger. Neue
Geschäftsmodelle wie die Billigfluglinien wären ohne das Internet gar
nicht möglich gewesen. Kein anderer Vertriebskanal ist für die
Unternehmen so günstig wie das Netz.

Die
wahre Herausforderung für den Handel steht aber noch bevor. Der Kunde
erhält dank moderner Technik den Zugang zur vollkommenen Information
über Preise und Anbieter. Der erste Schritt auf dem Weg ist bereits
getan: Produkt- und Preisvergleiche im Internet gehören zu den
Lieblingsbeschäftigungen der Deutschen im Internet. Noch nie waren die
Verbraucher so gut informiert wie heute. Viele Kunden kaufen Produkte
gleich per Mausklick oder konfrontieren ihren stationären Händler mit
den Preisen im Internet.

Faz_umsaetzeAlles ist wieder da: die altbekannten Prognosen und Konfliktlinien, Hoffnungen und Befürchtungen. Die allseits beliebten Charts mit exponentiellem Anstieg.  Und Internet-Aktionäre, die ihren Reichtum feiern.

Die FAZ-Reihe dekliniert das Thema nun anhand der einzelnen Marktsegmente durch:

  1. dot.com ist wieder gefragt (Der neue Boom im Allgemeinen und für das Segment E-Commerce im Besonderen)
  2. Von der Wundertüte zur gläsernen Kiste (Einkauf und Logistik)

Mehr wird folgen.

Das Mißverständnis UMTS

UMTS ist spätestens seit der unseligen Versteigerung von Luft der Sendelizenzen im Jahr 2000 ein reines E-Commerce-Thema. Denn seit damals sind die sechs siegreichen Mobilfunker vom Mißverständnis geblendet, daß sie sich mit Hilfe von UMTS vom Infrastrukturdienstleister zum Content-Lieferanten veredeln könnten. Nicht nur, daß dies kultureller Größenwahn ist – die Tatsache, daß wir auch fünf Jahre später noch keinen nennenswerten UMTS-Markt haben, liegt einzig und allein in diesem verzerrten Selbstbild begründet. PAID CONTENT HAT KEINE ZUKUNFT, weder im Internet noch im Mobilfunk. Deswegen möchten die Mobilfunkunternehmen bitte aufhören, nach interessanten Geschäftsmodellen für ihre Mobilfunkportale zu suchen. Stattdessen möchten die Provider bitte ihrer ureigensten Aufgabe nachkommen und attraktive mobile Internetzugänge anbieten – und das per UMTS. Denn die Killerapplikation im Handy heißt Internet, nicht irgendetwas, das der Logik von T-Mobile, Vodafone oder Mobilcom entspringt. Bitte laßt mich überall dort, wo ich gehe und stehe, googlen können, im Wiki nachgucken und SPON oder Shopblogger lesen. Und andere wollen halt was ganz anderes. Aber niemand wird T-Mobile dafür mehr zahlen, als die reine Übertragung dieser Inhalte wert ist.

Einkaufserlebnis

Soliver_1Bei Martin Röll gefunden, schon etwas älter, aber lesenswert: Beate Paland kauft einen Rock bei S. Oliver. Natürlich offline, aber unter Zuhilfenahme gewisser Online-Werkzeuge.

Also im Storefinder
geschaut, ob ich Läden übersehen hatte oder von deren Existenz ich
nichts wusste. Gemerkt, dass der Storefinder hoffnungslos veraltet ist
(ob die Daten bei der Erstellung der Website ins Flash eingepflegt
wurden, und man diese jetzt nicht mehr aktualisieren kann? ;))

Und dabei hat S. Oliver doch einen Online-Shop, und zwar – man höre und staune – auf Basis der IBM WebSphere Commerce Suite. Sollte es, entgegen aller Wahrscheinlichkeit, doch ernsthafte Referenzen dieser Plattform im deutschen Markt geben?

Aber ob es sich um diesen Rock gehandelt hat?

Mit Fernsehen gegen Google

Matthias Döpfner sagte, die wahren Wettbewerber der Zukunft seien "die Googles und die Yahoos". "Wir werden auch diesen Wettbewerbern Paroli bieten können. Das ist vielleicht die wichtigste Begründung dieser Transaktion", sagte der Vorstandschef. Alleine wäre das für beide Unternehmen schwieriger.

Na, da sollte man bei Axel Springer nochmal genau nachsehen, was die hier als Konkurrenz ausgewiesenen Unternehmen überhaupt so machen. Auf die Idee, einen Fernsehsender zu kaufen, um seine Marktstellung zu verbessern, ist man bei Google jedenfalls noch nicht gekommen.

Nachtrag 9.8.2005

Die FTD vermutet, daß Döpfner mit der Internet-Bemerkung einfach nur eine Begründung für das Bundeskartellamt vorformuliert hat, nach dem Motto: Die Fusion hat keine Auswirkungen auf den Medienmarkt, weil der wahre Kampf ja zwischen Internet (2 Prozent Werbeumsatz) und anderen Medien (98 Prozent Werbeumsatz) stattfindet.