Desintegration revisited

Max Zorno stellt die Frage, was eigentlich einen Markenartikel, der in Fernost produziert wird, noch unterscheidet von einem No-Name-Artikel, der in Fernost produziert wird.

Wie glaubwürdig kann eine Marke sein, wenn sie ihre Produkte dort
fertigen lässt, wo alle anderen auch fertigen lassen? Wie lange können
es Marken durchhalten, dass der wesentliche Differenzierungsfaktor zum
Wettbewerb in der Marketing-Show liegt, die sie abliefern?

Interessant ist, dass diese Diskussion sich ausgerechnet an den Markenschuhen von Adidas, Puma und Co. entzündet, die uns neulich auch schon auf dem Fischmarkt beschäftigt hatten. Es lohnt sich, die Debatte bei Max Zorno nachzulesen.

Ich möchte dazu nur ein Beispiel aus einer anderen Branche beitragen, das eventuell illustrieren kann, wo der Unterschied liegt: Apple-Rechner werden heutzutage überwiegend in Fernost hergestellt – genau wie PCs. Trotzdem käme wohl niemand auf die Idee, nach dem Unterschied zwischen Apple und PC zu fragen – er liegt auf der Hand.

Beim Sportschuh verhalten sich die Dinge ähnlich. Die industrielle Fertigung hat einen Standard erreicht, der sie quasi zur commodity macht wie Strom und Wasser. Der Unterschied wird bei Produktentwicklung, Design, Materialeinsatz – und eben Marke, Marketing und Vertrieb gemacht.

Keine Zielgruppe?

Zielgruppe

Gerade läuft ein Meme durch die benachbarten Winkel der Blogosphäre spazieren: Der Shopblogger hat es beim Werbeblogger gefunden, der es von Dirk Behlau hat. (Beim Don ist der Button schon ewig seit September 2004 zu sehen. Laut Blogstats war er damit mal wieder ganz weit vorne.)

Es ist ein für meine bescheidenen Begriffe recht optimistisches Selbst- und Konsumentenbild, das sich dahinter verbirgt (um nicht zu sagen: eine wenig realitätsnahe Wunschvorstellung vom aufgeklärten Verbraucher). Beispiele:

2.
Ich kann Information von Werbung trennen. Mein
Informationsbedürfnis lässt sich nicht durch einen
Premium-Content-Paketeinkauf bei einem kommerziellen Content-Anbieter
befriedigen.

3.
Meine Grundhaltungen, Werte und Handlungsmaximen wurden und
werden noch immer von meiner Familie, meinen Freunden und meinen
persönlichen zwischenmenschlichen Erfahrungen geprägt. Nicht durch die
Implikationen der gerade aktuellen populärkulturellen Phänomene und
auch nicht durch die Werbe- und Public-Relations-Maßnahmen von
Markenunternehmen.

4.
Ich weiß um die rein psychologischen Aspekte des
Markenbildungsprozesses. Hierzu stelle ich fest: Die Wahl meiner
Kleidung, meiner Unterhaltungselektronik, meiner Nahrung, meines
Automobils, meiner Möbel und aller anderen Gebrauchs- und Luxusgüter
erfolgt allein nach individueller qualitativer, ästhetischer und
preislicher Selektion. Nicht nach der Größe des aufgedruckten
Firmensignets (Logo) oder des Markennamens, des gewählten
Bildausschnitts, des verwendeten Papiers, der Größe oder
Umfeldplatzierung der Anzeige, des Mediadrucks oder der Werbespot-Länge
und -Laufzeit.

6.
Mein Markenbild wird alleine durch die Produktverwendung,
die Produkt-Güte und durch die Qualität der begleitenden
Serviceleistungen geprägt. Irrelevante oder gar nervende
Werbemaßnahmen, wie z.B. Online-Werbung, deren Einblendung ich nicht
kontrollieren kann, die sich mit redaktionellen Inhalten vermischt oder
eine dumm-dreiste Zielgruppenansprache verwendet, führen zu einer
sofortigen Eintrübung meines Bildes von dem Werbung treibenden
Unternehmen. Bei meiner nächsten Kaufentscheidung werde ich meine
negativen Werbe-Erfahrungen berücksichtigen.

Klingt ein wenig wie Konsumistisches Manifest meets Protestantische Ethik. Muss ganz schön anstrengend sein, sich an alle diese Regeln und Vorschriften zu halten.

Direktmarketing

AolSchon zum zweiten Mal in dieser Woche stand heute ein Promotion-Wagen von AOL vor unserer Tür. Genau genommen sogar deren zwei (siehe Bild). Ganz offensichtlich wollen deren Media-Leute mit SinnerSchrader Media ins Geschäft kommen. Soviel haben wir verstanden.

Was uns aber nicht klar ist: Warum rufen sie nicht einfach an?

Desintegration

Gibt es, einmal von der Automobilindustrie abgesehen, eigentlich noch Markenhersteller? Oder haben sich die beiden Wortbestandteile längst separiert, sprich: die Marken ihre Herstellung ausgelagert an Produzenten in anderen Erdteilen? Und die Logistik demzufolge gleich mit, denn warum sollten sie sich mit diesen Feinheiten der Distribution noch befassen?

Gestern habe ich im Radio ein Feature gehört, dass sich zufällig mit unseren alten Freunden aus Herzogenaurach befasste. Der globalisierungs- und konsumkritische Tenor der Geschichte interessiert jetzt nur am Rande. Für den Fischmarkt ist spannender, was es eigentlich bedeutet, wenn ein Markenartikler sich allein auf Entwicklung und Marketing (plus Vertrieb) konzentriert.

Denn diese Fokussierung eröffnet unserem Steckenpferd Direktvertrieb neue Chancen. Die Marke rückt ja näher an den Kunden, wenn die eigentliche Produktion nicht mehr zur Unternehmenstätigkeit eines Markenartiklers gehört – mit allem, was daran hängt, vom Einkauf bis zur Auslieferung. Die Corporate World von Adidas, die der preisgekrönte Feature-Autor Jens Jarisch so köstlich portraitiert, ist eine reine Markenwelt. In Herzogenaurach wird kein einziger Schuh mehr produziert, auch nicht von Puma. Dort werden jetzt globale Marken gemacht.

Der gebeutelte Einzelhandel steht also auch deshalb so unter Druck, weil sich Markenartikler heute viel stärker auf ihre Präsenz beim Verbraucher konzentrieren, nachdem sie den Ballast ihrer eigenen Produktion abgeworfen haben. Das zerrt am Kräfteparallelogramm. Und zwar gewaltig.

Content is king

Verschlafen die Agenturen einen Trend? Diese Frage stellte vor zwei Wochen die w&v (11/2005) – und beklagte die angesichts des internationalen Booms in Sachen Viral Marketing verhältnismäßig geringe Aufmerksamkeit bei hiesigen Werbern: Von den 79 Mitgliedern der internationalen Viral and Buzz Marketing Association stammen laut w&v gerade einmal zwei Agenturen und zwei freie Berater aus Deutschland.

Dabei lagen deutsche Werber mit dem legendären Moorhuhn, an das auch die Münchner Werberpostille erinnert, schon vor Jahren recht weit vorn. Das Problem war nur: Der Erfolg der Kampagne war nicht geplant – und wer erinnert sich noch an den Absender? (Richtig: Es war Johnny Walker.) Das Spiel überstrahlte ihn völlig. Immerhin zeigte das Huhn jedoch, worauf es ankommt: auf den Inhalt nämlich.

The heart of a viral ad campaign is the content. People don’t spread
the ad because they love your brand, they spread it because they can’t
help but adore your content. They’re not evangelists serving you, they
are self-serving.

Diese Erkenntnis stammt aus dem MarketingSherpa Special: Viral Advertising in 2005 —  Top 7 Tactics, How-Tos, and Measurement Data, auf das Björn Ognibeni hinweist. In Deutschland jedoch, und da sind wir wieder am Ausgangspunkt, fehlen schon epochale, erinnernswerte Online-Kampagnen, stellt die w&v fest – und fragt: "Wie soll da eine erheblich komplexere und risikoreiche virale Kommunikation klappen?" Ganz einfach: Wer wagt, gewinnt. Der ersten großen viralen Kampagne winkt der Hauptpreis einer umfangreichen Medienberichterstattung als erfreulichem Zusatzeffekt.

Niemand will die deutschen Banken…

schreibt Ulrich Reitz heute in der WamS. Seine These: die Konsolidierung der fragmentierten deutschen Bankenlandschaft findet statt; allerdings nicht auf dem Parket, sondern auf der Straße. Die Waffen: Tagesgeldkonten, Baufinanzierungen, Konsumentenkredite. So erhöhte die ING-Diba letztes Jahr ihr Werbebudget um über 200% auf rund 41,4 Mio. Euro. Unterm Strich blieben netto 700.000 Neukunden – ein CPO von deutlich unter 60 Euro. In den ersten Monaten des Jahres 2005 konnte die ING-Diba bereits 4.000 Neukunden gewinnen, pro Tag wohlgemerkt. Das Beispiel ING-Diba wecke Begehrlichkeiten, so Reitz. 2005 werde auch die GE Money Bank massiv in Deutschland auf Kundenfang gehen und die Marketingmaschine anwerfen.

Open Source Marketing

Ob der Begriff den Kern der Idee trifft, weiß ich noch nicht – aber der Ansatz ist interessant. Vieles von dem, was jetzt als Open Source Marketing bezeichnet wird, stand schon im Cluetrain Manifesto (das übrigens derzeit eine erstaunliche zweite Karriere erlebt – es war wohl seinerzeit, im Jahr 1999, einfach etwas zu früh dran).

Einen guten Überblick gibt ein Artikel von James Cherkoff (jetzt bei Companice als deutsche Übersetzung), in dem er auch acht Prinzipien des Open Source Marketing benennt. Ein Beispiel:

4. SEI EIN MARKEN-MODERATOR
Marken-Moderatoren wissen, dass die Zeit der "Markenwächter" vorbei ist
und diese für den Markt nicht länger von Bedeutung sind. Der
Verbraucher von heute will von großen, aufregenden und attraktiven
Marken involviert werden, in ein Gespräch verwickelt, aber auf seine
Weise. Marken können die Party schmeißen und versuchen, sie für die
Verbraucher attraktiv zu gestalten, aber sie müssen erkennen, dass der
neue Verbraucher einen vollen Terminkalender und viele Angebote hat.

Tatsächlich entstehen und leben Marken im Dialog mit dem Verbraucher (für den wahrscheinlich auch noch ein anderer Begriff gefunden werden muss, denn die klassische Arbeitsteilung zwischen Hersteller und Verbraucher weicht ja gerade auf). So ganz neu ist das auch nicht, denn viele der großen Marken sind erst groß geworden, weil sie im Gespräch waren und da auch blieben. Früher waren sie dafür auf den Handel angewiesen – aber der Handel hat letztlich an seiner eigenen Abschaffung gearbeitet, indem er den Dialog, weil zu teuer, konsequent wegrationalisiert hat, wo es nur ging.

Werbung schalten, wo ich gucke

Ein Vorstand googelt und findet seine Werbung nicht weit genug oben. Das geht gar nicht, meint er, schließlich will er ist sein Unternehmen die Nummer eins sein. Wie, der Cost per Click ist zu hoch und das Budget für Suchmaschinen-Marketing zu klein? Dann wird es halt erhöht – und dafür entsprechend weniger Geld in die Klassik gesteckt. Werberealität anno 2005.

Wie in alten Zeiten, als die Marketingdivision von Otto jede Plakatfläche und jedes Citylight im Hamburger Nordosten zupflasterte, sofern sie nur am täglichen Arbeitsweg von Michael Otto lagen. Ob Print, TV oder Online – die Mechanismen bleiben die gleichen: Sichtbarkeit für die eigenen Top-Entscheider ist überlebensnotwendig. Eine Kampagne, die der Chef nicht sehen kann, hat keine Existenzberechtigung.

Neu ist nur, dass die unscheinbaren Textlinks in einer Suchmaschine offenbar inzwischen der Anzeige im Spiegel oder dem Spot vor der Tagesschau das Wasser reichen können. Was folgt daraus? Sofort Google-Aktien kaufen.

Mit dem Logo gewinnen

Wwtlpcam_1Seit gestern ist nun die neue "Winning with the Logo"-Kampagne der Deutschen Bank gern gesehener Gast im Werbeblock. Wie ich finde, ein sehr schönes Beispiel für den Trend, dass Marken immer direkter werden. Auch wenn dieses vielleicht nicht primär mit der Kampagne beabsichtigt war: Marke und Kunde sind die eigentlichen Heros des neuen Auftritts; die Mittler verschwinden. Als typischer Kunde der Blauen nutze ich dreimal die Woche die Website, einmal den SB-Automaten – und meine Heimatfiliale habe ich seit Jahren nicht mehr gesehen.