mesh: Web 2.0 auf kanadisch

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Am 15. und 16. Mai findet in Toronto, Kanada, die Web-2.0-Konferenz mesh statt. Unter den Sprechern sind Om Malik (gigaOM.com), Steve Rubel (Micro Persuasion) und Stowe Boyd. Zur Zielgruppe gehören Marketing-, PR- und Medienleute, Unternehmer, Investoren und Softwareentwickler, Akademiker, Politiker und sonstwie politisch Aktive.

Ein Kongressprogramm gibt es noch nicht, aber eine eindrucksvolle Sponsorenliste und natürlich ein Blog. Schön auch dies:

why is it happening?

mesh is happening because five people with an enthusiasm for the Web and all the next-generation things happening around us decided an event like this one had to take place in Toronto. Events connecting Web ideas and leaders of the future are going on everyday around the world – Geneva has LIFT, Paris has Les Blogs, New York has BlogOn – and now Toronto has mesh so we can be part of the Web 2.0 conversation.

Let’s connect, share and inspire… let’s mesh.

Und wer nicht nach Kanada reisen möchte, der kann sich schon mal den 11. Mai in Hamburg vormerken. Mehr dazu in den nächsten Tagen auf dem Fischmarkt.

Die auf den Plattformen leben

Martin Röll prägt einen bösen, aber irgendwie treffenden Begriff: Primitivinternet.

Manche glauben, dass Menschen vor allem durch Neugierde und Macht- bzw. dem daraus resultierenden Selbstdarstellungstrieb angetrieben sind. Sie möchten Neues, Interessantes finden und sich selbst darstellen. Sie wollen das Vertrauen und die Anerkennung der anderen und sichtbare Symbole, die ihren Status repräsentieren.

Sie werden deshalb Teil einer „Community“, das ist hier: eine technische Plattform im Internet, in der sie das finden und in der es ein System des Aufstiegs im „Trust“, das ist das technisch ausgedrückte Vertrauen der anderen in einen, gibt. […]

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Das ist das Primitivinternet. Es gibt das schon lange, aber jetzt ist mir das richtig klar.

Es gibt die: die, die auf den Plattformen leben, die Reputation-Points sammeln, die gierig die von den Viral-Marketers geseedeten Clips replizieren und weiterschicken (hurra! Wirtstiere!), die jede noch so dumme Frage auf COSMiQ beantworten, um Punkte, Reputation, Trust oder wasauchimmer zu sammeln oder auch einfach nur die Zeit totzuschlagen. Es gibt sie.

In der Tat. Aber sind sie die bevorzugte Zielgruppe für das Marketing? Wohl kaum (oder jedenfalls nicht generell), meint wohl auch Martin. Doch da gibt es auch noch ein anderes Internet, das völlig andere Züge trägt. Welche Leute findet man dort?

Die, die nur wenig Zeit am Netz verbringen, ganz gezielt, wenn sie was suchen oder kommunizieren wollen. Die im wesentlichen woanders, vielleicht offline, leben, ein richtiges Leben [tm] haben und nicht Mitglied auf einer, sondern auf vielen Plattformen sind. Für die „Community“ nicht Software und Plattform bedeutet, sondern menschliche Gemeinschaft. Die Reputation an menschlichen Äußerungen spüren und nicht als Trustpoints messen. Manche von denen haben vielleicht ein Weblog, in dem sie mal schreiben, mal behaupten, mal fragen, mal Information weitergeben, über das sie Leute kennenlernen, Kontakte pflegen, sich selbst „darstellen“, naja: Sie leben halt da und dabei stellt man sich fast automatisch dar.

Manche lassen sich durch Bonbons und Trust-Punkte motivieren. Manche sind komplexer.

Nun gut. Das ist jetzt eine übersichtliche Dichotomie zur Veranschaulichung der komplexen Realität. Aber warum nicht? Es sind übrigens Resultate der gestrigen Diskussion in der Labrador Lounge. Erste Bilder bei Lummaland, Behindertenparkplatz und Ringfahndung. Das Foto oben ist von Nico Lumma.

Internet World feat. Social Commerce

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Auf drei vollen Seiten plus Titel berichtet unser Leib- und Magenblatt Internet World über Social Commerce. Sehr schöne Geschichte. Vom Cluetrain Manifesto über Jochen Krisch bis zu den üblichen Bedenkenträgern aus deutschen Landen ist wirklich alles dabei:

„Ich würde sagen, das ist Feuilleton-Commerce“, bringt es Matthias Ehrlich, Vorstandsvorsitzender des Web.de-Vermarkters United Internet Media, auf den Punkt. „Die Internet-Branche hat schon mal Schiffbruch erlitten, indem sie jede Laboridee als machbar, sinnvoll und den letzten Schrei bewertet hat.“ Seiner Meinung nach würden sich beispielsweise Weblogs als Verkaufsplattform nur bedingt eignen, da Verkaufen unter fremden Menschen der Sicherheit durch Formalisierung und Branding bedarf. Auch Datenschutzthemen seien extrem wichtig. „Wir brauchen Shopping-Plattformen, die eine Führung haben und hinter der eine Marke steht, und das ist der große Vorteil von Web.de“, betont er.

Klingt schon ein wenig wie eine ungesunde Mischung aus Ignoranz und Pfeifen im Walde. Zitieren wir zum Vergleich den Geschäftsbericht [PDF] der Web.de AG (heute Combots AG) für das Jahr 2004:

Der Bereich E-Commerce beinhaltet Transaktionserlöse im Rahmen von Direktmarketingaktivitäten, bei denen WEB.DE als Intermediär an den Umsatzerlösen der vermittelten E-Commerce-Umsätze partizipiert. Die Umsatzerlöse im Bereich E-Commerce lagen im Geschäftsjahr 2004 bei 4,3 Millionen Euro (nach 6,3 Millionen Euro im Geschäftsjahr 2003 und 3,8 Millionen Euro in 2002). Das E-Commerce-Geschäft von WEB.DE erwies sich damit in 2004 wiederum als sehr volatil.

Ich mag mich irren, aber nach einem Riesengeschäft sieht das in meinen Augen nicht aus. Eher nach – immerhin – 10 Prozent Umsatzanteil (Gesamtumsatz von Web.de im Jahr 2004: genau 43 Millionen Euro). Zum Vergleich mag Spreadshirt dienen, das inzwischen 225 Mitarbeiter beschäftigt (und damit vermutlich etwas mehr als 4,3 Millionen Umsatz macht – nämlich rund 8,7 Millionen Euro im Jahr 2005).

Aber weiter im Text:

Christoph Röck, Geschäftsführer des Shopping-Portal-Herstellers Pangora, einer Tochter von Lycos, ist ähnlich skeptisch, was den Erfolg solch dezentraler Shop-Systeme in Deutschland betrifft. „Der amerikanische Markt funktioniert anders als der deutsche, allein schon aufgrund der schieren Masse an gleichsprachigen Internet-Nutzern“, ist er überzeugt. Das bedeutet im Klartext, dass auf einen Weblog mehr Leser kommen und damit auch mehr potenzielle Käufer.

Alles richtig – aber trotzdem falsch gedacht. Deutschland ist Ebay-Land No. 2 (nach den USA). Dass dem so ist, hat viel mit dem kollektiven Dauerwinterschlaf zu tun, aus dem die hiesige E-Commerce-Branche gerade erst erwacht ist.

Auch von der Idee, auf privaten Homepages Freunden und Bekannten die eigenen Lieblingsprodukte zu verkaufen, hält der E-Commerce-Profi gar nichts: „Wie oft gehen Sie auf die Seiten Ihrer Freunde, um sich über Neuigkeiten zu informieren?“, fragt er.

„Schonmal Spreadshirt angesehen?“, frage ich zurück.

mix06: Einfach nur crazy

Bevor sich unser Sonderkorrespondent in Vegas dem wohlverdienten Nachtschlaf hingab, übermittelte er uns noch einige erste Eindrücke, „schnell & dreckig aber frisch!“

Ich verstehe immer noch nicht, wie es Microsoft schafft, so viele Menschen mit Zukunftsthemen zu beschäftigen, die keinen Cent Umsatz machen, und trotzdem wirtschaftlich so erfolgreich zu sein. Dafür bewundere ich den Laden zutiefst.

Bill Gates ist ein schlechter Sprecher. Bill Gates ist ein sympathischer, irgendwie rein und jung wirkender Mensch.

Las Vegas ist einfach nur crazy (diplomatisch ausgedrückt). Bis jetzt hatte ich nicht eine Stunde Zeit, neben der Konferenz, dem Versuch zu arbeiten, dem Kampf mit 12 Stunden Zeitverschiebung (wenn ich wach sein muss, bin ich müde – wenn ich schlafen soll, bin ich hellwach) Las Vegas zu bewundern.

Mit der Adaption des Vernetzungs-Gedankens in die neuen Microsoft-Technologien ergeben sich in den nächsten Jahren sehr, sehr spannende Möglichkeiten. Auf einer reichweitenstarken Basis, weil halt Microsoft. Die gezeigten Beispiele sind hier sehr technisch geprägt („schau mal, das funktioniert“). Aus Business-Sicht noch nicht so sehr überzeugend.

Myspace ist auch hier. Unglaublich, die haben eine Server-Farm von „nur“ 150 Stück und sind die reichweitenzweitstärkste Seite im Internet. Besonders im Bereich Personalisierung entwickeln sie zur Zeit mit Atlas & Ajax. Hier geht es um Drag & Drop für personalisierten Content. Sehr überzeugend.

Microsoft baut an einem Ad-Center, was wohl eine Full-Service-Plattform für Werbung (noch online) werden soll. Theoretisch sehr spannend, praktisch wird es wohl noch dauern, bis es so einfach ist wie Aktien kaufen: mal eben Zielgruppe auswählen, Preislimits fürs SEM einstellen, etc. und fertig 😉

Wichtige Stichworte sind: Beyond the Browser, Vernetzung von Applikationen und Services, Ajax & Atlas, sehr viel Mobile!

Einige Einblicke in Smartclients für Endkunden konnte ich z.B. von BBC und North Face sehen. Ich bin auf weitere sehr gespannt.

Schnell sitzt man in einer Session, in der über APIs und Workflows philosophiert wird… 😉 Wenn es dann eigentlich 5 Uhr AM in Old Europe ist, werden die Augenlider sehr, sehr schwer.

mix06: Die Zukunft hat begonnen

Malte Blumenthal, Geschäftsführer der SinnerSchrader Studios, weilt derzeit in Vegas und berichtet für den Fischmarkt von der großen Microsoft-ShowKonferenz mix06. Hier sein erster Bericht:

Passend zum noch immer noch neuen Jahrtausend und zum erneuten Webboom lädt Microsoft ein: zu 72 Stunden Austausch rund um die Zukunft des Internets, rund um alles, was wir und inzwischen auch Microsoft Web 2.0 nennen.

Die erste Erkenntnis ist ernüchternd: Das Grundversorgungsproblem des Überall-Internets wurde noch immer nicht gelöst. Wo eigentlich dynamische, vorwährtsstrebende junge Menschen durch die pompösen Gänge des Venetian eilen sollten, kauern eben diese verzweifelt am Boden und buhlen um die wenigen Netzsteckdosen des 275-Millionen-Dollar-Paradieses. Ist das die Zukunft? Schlaue Venture-Capitalisten werden in Zukunft sicherlich häufiger auf Brennstoffzellen-Messen zu treffen sein.

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Zurück zur Zukunft. Vernetzen ist das Schlagwort, und über Konvergenz darf man auch wieder sprechen: Konvergenz von Plattformen, Devices, Netzen etc. Mit den neuen Versionen von Windows (Vista) und Office (12) wird dem Internet (Webservices) massentauglich die Tür aller Windows-PCs geöffnet. Der Siegeszug des Internets schreitet voran, nun auch bis in die Moleküle unseres Betriebsystems. Wo früher noch ein Browser notwendig war, bedienen sich morgen unsere Anwendungen selbständig aus dem Internet.

Und da der PC darauf drängt, vom Schreibtisch ins Wohnzimmer zu kommen, um dort vernetzt alle wichtigen Kommunikations- und Medienbelange des Lebens zu übernehmen, scheint dies eine rosige Zukunft für die gesamte ITK-Branche zu werden. Besonders für Microsoft.

Was ist so neu am neuen Web?

Fragt die Welt am Sonntag von gestern und gibt eine plakative Erklärung:

Der bisherige Internet-Nutzer klickt sich abends für ein, zwei Stunden durch das Netz, besucht seine Favoritenseiten und konsumiert eher passiv die Inhalte. Der Nutzer des neuen Web 2.0 dagegen ist aktiv, verändert die Inhalte und stellt eigene in das Netz.

Wie sie das machen, erläutert die WamS anhand einiger bekannter und weniger bekannter Web-2.0-Anwendungen. Die genannten Beispiele in der Reihenfolge des Auftritts:

3 1/2 Monate

fast.png37signals hat eine harte Obergrenze für die Dauer ihrer Produktentwicklung: dreieinhalb Monate.

Create a simple product as fast as you can, then get feedback from customers and make it better.

So fasst die BusinessWeek in ihrer neuesten Ausgabe die Lektion der schlauen Jungs von 37signals für die Softwarebranche zusammen. Und nicht nur für Softwareentwicklung, sondern für webbezogene Produktentwicklung insgesamt: So gut wie alle erfolgreichen Projekte in der bald zehnjährigen Unternehmensgeschichte von SinnerSchrader waren nach spätestens dreieinhalb Monaten online und wurden dann kontinuierlich weiterentwickelt.

The way to get really good software is to make the simplest thing you can as fast as you can and get reaction, then see where it goes from there.

Meint Paul Graham, aus dessen Feder On Lisp (1993), ANSI Common Lisp (1995) und Hackers & Painters (2004) stammen und der heute einer der Partner der VC-Firma Y Combinator ist.

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Kommunikation 2.0

Der Fischmarkt hat ein kleines Schwesterlein bekommen: Auf dem Themenblog – jetzt im neuen Look & Feel – behandelt der geschätzte Kollege Mark Pohlmann die kommunikative Seite des Web 2.0. Also weder big fonts and rounded corners noch Ajax oder Warenkörbe, sondern Unternehmen, die zuhören.
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Sein Credo formuliert der bekennende Barista und FAZ-Abonnent in altertümlicher Rechtschreibung:

Wer seinen Kunden auf ihren Märkten nicht zuhört, wird von ihnen nicht wahrgenommen. An der Fähigkeit der Unternehmen zum Zuhören und ihrer Kultur, Kunden in einen aktiven Dialog hineinziehen, bemißt sich das Maß der Identifikation ihrer Kunden und damit ihre Wettbewerbsfähigkeit.

Der bessere Warenkorb

Man stelle sich einen Supermarkt vor, in dem die Hälfte aller Kunden ihren gefüllten Einkaufswagen einfach irgendwo abstellen und den Laden verlassen. Shopblogger Björn Harste müsste wahrscheinlich neue Packer einstellen, die den ganzen Kram zurück in die Regale schaffen.

Im E-Commerce scheint das ganz normal zu sein. Neben zu hohen Versandkosten und enttäuschten Preiserwartungen ist die Kassentechnik im Netz einer der Hauptgründe für Bestellabbrüche. Je länger der Prozess, desto höher die Ausstiegswahrscheinlichkeit.

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Der Klassiker unter den Web-Kassen ist immer noch eine Folge von HTML-Formularen, die mit den richtigen Daten gefüllt werden müssen. Falsche Eingaben werden erst erkannt, wenn der Kunde das Formular bereits abgeschickt hat. Die Folge sind Fehlermeldungen, Eingabewiederholungen und noch höhere Abbruchwahrscheinlichkeit.

Dem abzuhelfen schickt sich Allurent mit einer Anwendung an, die den gesamten Checkout-Prozess in einer kompakten Flash-Lösung abbildet. Der Kunde bekommt unmittelbar Rückmeldung auf seine Eingaben, ohne dass jeweils der Server angesprochen oder Seiten neugeladen werden müssen.

Der Spaß ist nicht ganz günstig: Laut multichannel merchant kostet Allurent Buy ab 150.000 Dollar plus Implementierung. Dafür gibt es jedoch eine um bis zu 50 Prozent bessere Konversionsrate, gemessen über die Dauer des Checkout-Vorgangs. Das könnte sich lohnen.

Aber warum überhaupt Flash? Liegt nicht Ajax sehr viel näher? Ein Ajax-Warenkorb könnte vermutlich Ähnliches leisten und wäre wohl erheblich günstiger zu implementieren. Das erste ernstzunehmende Beispiel für Ajax im Bereich E-Commerce ist GAP. Dort allerdings endet die schöne Ajax-Welt vor der Kasse: Der Checkout-Prozess selbst ist offensichtlich konventionell.
Siehe auch: Der ewige Warenkorb