Kritik kommt von altgriechisch kritein, „[unter-]scheiden, trennen“. Der Kritiker braucht Kriterien, mit deren Hilfe er unterscheiden kann – das Gute vom Schlechten zum Beispiel, oder das Erfolgreiche vom Erfolglosen.
Unternehmen aller Art haben ein hartes Erfolgskriterium, das sich am Gelde bemisst. Oder genauer: daran, wie viel am Ende, wenn alle Rechnungen beglichen sind, noch übrigbleibt. Sie geben ihr Geld nur aus, wenn sie Rückflüsse erwarten können, die höher sind als die Ausgaben.
Unternehmerische Bedenkenträger kommen immer dann ins Spiel, wenn diese Erwartung nicht realistisch erscheint. Dann zögern sie mit dem Geldausgeben, und die Macher bekommen nicht die Mittel in die Hand, die sie gern hätten.
Die Aufbruchstimmung vom Vorjahr ist vorbei. Das war auf der next07 klar zu sehen. Doch gibt es jetzt tatsächlich eine Kluft „zwischen dem kleinen gallischen Dorf voller Visionäre und dem Römischen Reich der Bedenkenträger in ihren von Firmenpalisaden umzäunten Parallelwelten“, wie Oliver Gassner in Telepolis schreibt?
Nein! In den Unternehmen herrscht weiter Aufbruchstimmung, bestimmt die Lust am Internet, an der Kommunikation mit dem Konsumenten das Bild. Zu Bedenkenträgern sind indes die Blogger geworden. Der Fall Shoppero zeigt das überdeutlich.
Shoppero ist ein Qype für Produkte, das seine Autoren an den Werbeerlösen beteiligt. Eigentlich ganz einfach und vor allem eine Antwort auf die Frage, was denn die Nutzer auf den ganzen sozialen Netzwerkplattformen von ihrem Engagement haben (außer Ruhm, Ehre und Karmapunkten).
Geld ist prinzipiell keine schlechte Sache. Man könnte zugespitzt sagen: Selbst wenn Beiträge bei Shoppero nur deshalb geschrieben werden, um damit den Abverkauf irgendwelcher Produkte zu fördern, ist das kein Problem – solange es verkauft. Das nennt sich dann wohl Social Commerce.
Dabei bleibt allenfalls der neue Spitzenwert Authentizität (Bolz) auf der Strecke, dem sich die Bloggerszene mit Haut und Haar verschrieben hat. Doch was ist Authentizität anderes als hochselektive Wahrnehmung, als der zum Prinzip erhobene blinde Fleck?
Jede Beobachtung hat ihren blinden Fleck. Blogger jedoch machen diese Art von Blindheit, die ins Extrem getriebene selektive Wahrnehmung zum Prinzip. Eine Kunstfigur wie Don Alphonso lebt genau davon. Hinter dem wortreichen Gestus der Allwissenheit, hinter der aufs Höchste gesteigerten Subjektivität steckt die blanke Realitätsverweigerung.
Don Alphonso, das alter ego von Rainer Meyer, existiert nur im Netz. Die Figur funktioniert nur digital. Im echten Leben kann Meyer diese Rolle nicht ausfüllen. Und folgerichtig bleibt er Ereignissen wie der re:publica oder der next07 fern. Was dort geschieht, will und kann er nicht wahrnehmen. Muss er auch nicht. (Auf „vielen Kongressen“ war er jedoch, siehe unten.)
Was beim Don mit seiner messerscharfen Intelligenz und klassischen Bildung noch seinen intellektuellen Reiz hat, ist bei seinen Adepten eher peinlich. Die jakobinische Gebärde des Don ist witzig, aber die heraufziehende Terrorherrschaft eines marodierenden Mobs macht keinen Spaß mehr. Es wird Tote geben.
Worum geht es?
Man muss Jens Kunath nicht mögen, schlechte AGB sind schlechte AGB und Sicherheitslücken sollen nicht sein – das ist alles richtig. Aber kein Grund, mit dem Fallbeil durch die Lande zu ziehen. Es sei denn, es ginge nur um Terror, notdürftig mit dem Mäntelchen der Reinheit bedeckt.
Der Konsument hat die Macht bereits übernommen. Er wird auch die jakobinische Schreckensherrschaft hinwegfegen. Der 28. Juli kommt. Die Frage ist nur, in welchem Jahr.
Warum geht mir schon den ganzen Tag so ein Lied von den Ärzten im Kopf herum?