Ganz vorn dabei im Westen

Es war im WM-Sommer 2006, als die WAZ-Gruppe eine Bloggerin zur stellvertretenden Chefredakteurin erkor und ihr ein Himmelfahrtskommando anspruchsvolles Projekt anvertraute. Es war ein Paukenschlag. Viel deutlicher kann ein Verlag nicht sagen, dass er im Web einen starken Neuanfang wagt.

Viel Wasser ist seitdem die Ruhr hinabgeflossen. Der ursprünglich für das Frühjahr avisierte Launch musste mehrfach verschoben werden. Und je mehr Zeit verging, um so höher wuchsen die Erwartungen.

Seit der vergangenen Nacht ist DerWesten nun am Start. Auf den ersten Blick haben sich die himmelhohen Erwartungen nicht erfüllt. DerWesten sieht aus wie eine solide Nachrichtensite, aufgeräumt und etwas langweilig. Wird hier der Lokal- und Regionaljournalismus im Netz neu erfunden?

Doch die spannenden Details liegen unter der Haube: Tagging-Mechanismen, regionale und lokale Kontexte, Geo-Tagging, Kommentare, Trackbacks, Blogs und Community-Funktionen. Hier gibt es jede Menge zu entdecken und auszuprobieren. Und dem Team von Katherina Borchert ist nur zu wünschen, dass Leser wie WAZ-Redakteure diese vielen Möglichkeiten entdecken und zu nutzen wissen.

How to Save Newspapers, schrieb der Journalist und Autor Doc Searls im März seiner Zunft ins Notizbuch. Einige dieser Rezepte hat DerWesten schon umgesetzt – und ist damit unter den Nachrichtensites im deutschsprachigen Raum ganz vorn dabei.

Der heutige Starttermin ist zwar spät, aber kein Zufall – auch der elektronische Platzhirsch WDR ging heute mit einem neuen Web-Angebot an den Start.

Die Grenze zwischen Werbung und Redaktion

Die Internet World hat mir ein paar Fragen zum immer wieder spannenden Thema der Trennung zwischen Werbung und Redaktion im Web gestellt. Hier meine Antworten.

Verschwimmt im Zeitalter des viralen Marketing die Grenze zwischen
Werbung und Redaktion oder gibt es nach wie vor klare
Demarkationslinien?

Wo es redaktionelle Angebote gibt, sollte es auch eine klare Trennlinie zur Werbung geben. Dies liegt im ureigenen Interesse jedes redaktionellen Mediums, denn sonst verliert es an Glaubwürdigkeit. Viele Angebote im Web haben aber gar keine Redaktion, und dann kann es auch keine Trennung zur Werbung geben. Werbung sollte immer dann deutlich gekennzeichnet werden, wenn sie nicht auf den ersten Blick als solche zu erkennen ist.

Dürfen Unternehmen und ihre Agenturen komplette Artikel
oder Themeninseln
konzipieren und erstellen, damit sie von redaktionellen
Websites veröffentlicht werden?

Ja, dürfen sie. Die Redaktionen fahren allerdings besser damit, diese Artikel oder Themeninseln klar zu kennzeichnen. Schmu erkennt der mündige Medienkonsument früher oder später – und straft mit Nichtbeachtung.

In welcher Form darf ein Unternehmen einen Blog oder eine Community
fördern oder komplett finanzieren?

In jeder Form, die Leser und Konsumenten verstehen und goutieren. Unternehmen können auch selbst Blogs betreiben oder eine Community pflegen. Anders als in den klassischen Medien haben sie im Web viele Möglichkeiten, direkt mit den Konsumenten zu interagieren. Die Konsumenten suchen den direkten Kontakt.

Spielt sich die gesamte Diskussion über Schleichwerbung im Netz
nur in einem „inneren Zirkel“ der Medienschaffenden ab? Interessiert das den „normalen“ User überhaupt?

Auch wenn sich die Diskussion tatsächlich in einem inneren Zirkel abspielt – Otto Normalverbraucher ist an authentischer Kommunikation und Interaktion mit Unternehmen und Marken interessiert. Wer dieses Interesse bedient, hat damit Erfolg.

Komplexer, nicht einfacher

Es gibt Themen, die bleiben, und Diskussionen, die immer wieder und immer neu geführt werden müssen. Schön, wenn es auch Diskutanten gibt, die lange genug dabei sind, um daraus zu lernen. Die Gespräche über die großen Trends und Themen des Web bleiben, nur die Gesprächspartner wechseln und die Erkenntnis schreitet voran.

Nicholas Negroponte schrieb 1995 in Being Digital: „Computing is not about computers any more. It is about living.“ David Weinberger variiert seit Cluetrain Manifesto (1999) und Small Pieces Loosely Joined (2002) sein Thema, das da lautet: Wie verändert das Web das Marketing, die Wirtschaft und die Welt insgesamt?

Mit Everything is Miscellaneous hat er jüngst ein weiteres Buch hinzugefügt. Es ist eine Art Being Digital 2.0. Im Vorwort schreibt er:

The physical limitations that silently guide the organization of an office supply store also guide how we organize our businesses, our government, our schools. They have guided–and limited–how we organize knowledge itself. From management structures to encyclopedias, to the courses of study we put our children through, to the way we decide what’s worth believing, we have organized our ideas with principles designed for use in a world limited by the laws of physics. Suppose that now, for the first time in history, we are able to arrange our concepts without the silent limitations of the physical. How might our ideas, organizations, and knowledge itself change?

Seine Antwort gab David Weinberger heute in Form einer Keynote auf der Picnic im Amsterdam zu Protokoll. Große Teile davon hat Bruno Giussani notiert.

Als Gegenstück zu Weinberger hat die schlaue Kongressleitung die Rolle des bad guy mit Andrew Keen besetzt und zwischen die beiden den alten Fuchs Walt Mossberg als Moderator gesetzt. Mossberg steht als Technologieredakteur des Wall Street Journal und Gastgeber der Konferenz All Things Digital gut im Stoff und neigt als Vertreter der alten Medien eher Keen zu denn Weinberger.

So kommt nach dessen programmatischer Rede eine lebhafte Diskussion in Gang. Denn auch Keen hat ein Buch zu verkaufen: The Cult of the Amateur heißt es, und Keen profiliert sich damit als Kritiker mindestens der Version 2.0 des Web, im Grunde aber passt ihm die ganze Richtung nicht.

Weinberger weist zu Recht darauf hin, dass die tragenden Prinzipien des Web auch schon Tim Berners-Lee bewegt haben, als er das Hyperlink-Konzept so bestechend einfach und erfolgreich implementierte. Es ging im Web von Anfang an darum, den Daten Bedeutung zu geben. Der blau geschriebene, unterstrichene Klartext eines Hyperlinks (Web 1.0) oder das Etikett, das Tag (Web 2.0) sind im Prinzip frei wählbare Metadaten, die den Daten Bedeutung verleihen.

Keen und Mossberg betrachten das Web eher als ein Massenmedium und kommen deshalb zu den sattsam bekannten Beobachtungen, die aus dieser Perspektive entstehen müssen. Dann erscheint die Wikipedia mit ihrer Faktenfülle und den offen sichtbaren Baustellen plötzlich als überkomplex.

Das Web macht die Dinge komplizierter, nicht einfacher. Es spiegelt die Komplexität der übrigen Welt. Darin sind sich alle drei einig. Weinberger hält das für einen Vorteil und für den Reiz des Web, Keen und Mossberg hingegen sehen hier eher ein Problem.

Gezielter Konsum auch im TV

Fernsehen macht ist wird immer anspruchsloser, deshalb zappt der Zuschauer von heute nicht mehr willenlos herum, sondern wählt gezielt aus, was er sehen will.
Eine Umfrage im Auftrag der Programmzeitschrift Hörzu liefert den Beweis: Deutsche Fernsehzuschauer meinen, dass das Fernsehprogramm mit der Zeit „dümmer“ geworden ist – und das sagen immerhin 60 Prozent der Befragten. Mehr als jeder Zweite meint, das TV-Angebot sei unüberschaubar und misstraut dem Fernsehen.
Die Folge ist laut Umfrage gezielteres Fernsehen von zwei Dritteln der Befragten zwischen 35 und 54 Jahren – und auch die jüngeren Zuschauer bestätigen diesen Trend. Immerhin 56 Prozent der Befragten konzentrieren sich bis zum Schluss auf eine ausgewählte Sendung.
Angesichts nachmittäglicher Schmutz-Talks und einem schier unerschöpflichen Fundus an Doku-Soaps, um nur mal einige der TV-Unsäglichkeiten zu nennen, lässt dieses Ergebnis hoffen. Für den deutschen Fernsehzuschauer auf jeden Fall, vielleicht auch fürs Programm.

Jetzt sind die Eltern dran

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Eltern sind nicht nur eine der kaufwütigsten Zielgruppen, sondern auch ziemlich empfänglich für Tipps aller Art und damit mindestens ebenso gesprächig wie die dauer-plappernden Kleinen. Darauf setzt Gruner + Jahr mit dem neuen Eltern.de-Familiennetz. Der Grundgedanke „Content + Community“ ist dabei so neu nicht: Das Familiennetz verbindet redaktionelle Inhalte mit Foren mit einem Social Network.
Familien bekommen aber endlich das, worauf sie schon immer dringend gewartet haben: Tools, die ihnen Arbeit abnehmen. Als da wären: Fotoalben und Familienblogs zum Verwandte-und-Freunde-auf-dem-Laufenden-Halten, Suche nach neuen Freunden mit Kindern im gleichen Alter oder gar nach einer Krabbelgruppe, Gruppen-Funktion zur Organisation von Kindergartengruppe oder Klassenelternabend.
Eine zweite Ausbaustufe im Herbst bietet Filme, Datenbanken und Audio-Files zur Suchabfrage plus User-generierten Content aus den Foren plus Zugang zu passenden Gruppen aus dem Social Network. Eltern-Heft und online werden auch verquickt, indem die Eltern.de-Redaktion regelmäßig Print-Beiträge vorab in einem Forum diskutieren lässt und sie anschließend mit den Kommentaren der User druckt.

Focus on people

My advice – focus on people. The tech empowers people and it will change. Sites come and go. Excuse me while I update my Tripod page.

Edelman-Blogger Steve Rubel auf Twitter

Nebenbei bemerkt: Mindestens die Marke Tripod gibt es immer noch. Was die These bestätigt, dass auch im Internet das Rieplsche Gesetz gilt: Kein neues, höher entwickeltes Medium verdrängt ein altes vollständig, es verändert lediglich dessen Funktion.

Keine Druckereien, kein Papier, keine Lastwagen

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Noch hat Rupert Murdoch die Bancrofts nicht überzeugt, ihm Dow Jones zu verkaufen, da hat er schon relativ präzise Vorstellungen, was er mit dem Wall Street Journal anstellen möchte:

Wie wäre es, fragt er rhetorisch, wenn man eine Redaktion der Spitzenklasse zusammenkaufte, und das „Journal“ dann nur im Netz und völlig kostenlos anböte? „Keine Druckereien, kein Papier, keine Lastwagen. Wie lange würde es dauern, bis die Werbung kommt? Es wäre jedenfalls erfolgreich, es würde funktionieren und man würde … ein kleines bisschen Geld verdienen“, so Murdochs hypothetische Reise in die Zukunft.

Dow Jones ist seit vielen Jahren Kunde des Frankfurter Büros von SinnerSchrader.

Hauptsache konsumentenorientiert

Wer schon immer mal wissen wollte, in welche Unternehmen Burda investiert, dem hilft heute Lutz Meier in der gedruckten FTD weiter:

Hauptsache konsumentenorientiert, sagt Jürgen Todenhöfer, der Vizechef des Verlagskonzerns. So müssten Internetfirmen sein, damit Burda Geld hereinsteckt.

Das ist doch mal ein Ansatz.

Kaffeeklatsch in Hamburg

Neulich in Hamburg, Medienstadt: Ein media coffee zum Thema „Von der Edelfeder zum Contentlieferanten? – Printmedien im Wandel“ – bester Frontalunterricht mit eingebauter Fragemöglichkeit im Auditorium der Bucerius Law School.
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Das Podium von links nach rechts: Annette Hillebrand, Moderation, Akademie für Publizistik. Kuno Haberbusch, Zapp/Das Medienmagazin und extra 3/Das Satiremagazin. Holger Stark, Der Spiegel. Frank Thomsen, Stern.de. Jan-Eric Peters, Axel Springer Akademie. Dr. Wilm Herlyn, dpa.
Viel Altbekanntes: Spiegel-Online hält verdient das Quasi-Monopol der Online-Nachrichtenmagazine (alle). Online wird nicht zu einem Qualitätsverfall führen (Thomsen) und „alles wird weiterleben, aber anders“ (wieder Thomsen). Online ist nicht mehr die interne Abschiebestation, sondern die Zukunft (Peters). Und so weiter.
Zwei Sprecher haben spannendere Dinge von sich gegeben: Kuno Haberbusch, Leiter von Zapp/Das Medienmagazin und extra 3/Das Satiremagazin hat gezeigt, wieviel Sinn es macht, sich bei aller Euphorie über Web 2.0 (s)eine kritische Sicht auf die Dinge zu bewahren. Haberbusch war also dagegen, was mich zugegebenermaßen schonmal grundsätzlich begeistert. Kurze Szenenbeschreibung:
Dass Google sich jeglicher Transparenz verweigere („die lehnen kategorisch jedes Interview ab!“), sei nicht hinnehmbar, ja – gar skandalös sei, dass die deutschen Medien das klaglos hinnehmen. Jan-Eric Peters (Axel Springer Akademie) dazu: „Es ist, wie es ist.“ Haberbusch spornt das erst richtig an: Er geht dazwischen und erklärt erstmal, wie man früher gekämpft habe. Herrlich.
Dagegen war er auch, dass die Regionalblätter „außerhalb der privilegierten Insel Hamburg“ ihre Online-Ableger nebenher machen. Auch ein Thema des zweiten Sprechers, der hier Lob erhält: Holger Stark, Der Spiegel, wies immer wieder auf die Wichtigkeit von Investitionen in Leute hin – statt die Online-Ausgaben aus dem Print mit zu bedienen.
So war vor allem er es, der das Fazit prägte. Am Ende waren sich alle einig, dass es Edelfedern immer geben wird (und bekamen damit noch eben den Dreh zum Veranstaltungstitel) und machten sich kollektiv um eines Sorgen: um die Qualität der Recherche und um die Zukunft des investigativen Journalismus – angesichts der Tatsache, dass dort gespart wird, „wo Zeit, Geld und Energie nötig sind“ (Stark).
Die Veranstaltung hätte also besser „Lässt sich guter Journalismus im Internet überhaupt bezahlen?“ geheißen.
Hingewiesen wurde auf eine spannende Studie: „Klicks, Quoten, Reizwörter: Nachrichten-Sites im Internet. Wie das Web den Journalismus verändert.“
Die media-coffee-Reihe tourt übrigens durch Deutschland und lässt sich im media-coffee-blog mitverfolgen.

Markenführung wird demokratischer

Die Markenführung wird demokratischer, deshalb gewinnt das Fernsehen an Bedeutung. Im Internet lehnt sich eine neue Generation von „68ern“ gegen die Autorität von Marken auf. Sie werden ein Stück weit zerfasert, teilweise auch verunglimpft. Nur wer seinen Marken über die klassischen Medien genügend Authentizität und Relevanz verleiht, wird im Web 2.0 nicht untergehen.

Peter Christmann, Vorstand Sales & Marketing bei ProSiebenSat.1 und Geschäftsführer von SevenOne Media, in der Horizont vom 24. Mai 2007