Mitreißend, von der Sache überzeugt, frei von der Leber weg: Martin Oetting, trnd, neulich beim Vortrag „Work of Mouth Marketing: Cluetrain WORKS!“. Das war auf der next07:
Das war vorgestern:
Reichweite und Nischeninhalte – zwei Begriffe, die sich beißen?
Martin Oetting: Nein, dank Internet mittlerweile nicht mehr. Wenn man die Nischen im Netz bedient, kann man das weltweit tun – so dass auch Reichweiten wieder interessant werden. Das entsprechend strapazierte Schlagwort „Long Tail“ ist ja in aller Munde.
Mundpropaganda lebt von Meinungsführern – wie identifiziert man die?
Es gibt zwei Möglichkeiten: Entweder identifiziert man sie – oder man „macht“ sie.
Für den ersten Ansatz gibt es eine ganz pragmatische Möglichkeit – manchmal kann man Meinungsführer durch Beobachtung und schlichtes Nachdenken finden. Es gab z.B. die Idee von Marketingunternehmen, bei speziellen Kampagnen für eine weibliche Zielgruppe mit Friseuren zu arbeiten, weil die ständig mit Menschen im Austausch stehen und allein dank ihrer Kontakte Reichweite aufbauen können.
Meinungsführer definieren sich aber klassischerweise eher durch Fachwissen. Man kann heute im Internet gucken und dort die so genannten Mavens suchen, die sich zum Beispiel durch spezialisierte Internetpublikationen outen.
Dann kann man Meinungsführer zu einem gewissen Grad selbst schaffen. Meinungsführer sind in bestimmte Themen tief eingestiegen, stark involviert. Wenn man kontaktfreudige Leute mit einem Grundinteresse findet, ihnen dann die Möglichkeit bietet, sich intensiv mit einer Sache auseinander zu setzen, nehmen sie gewisse Meinungsführereigenschaften an.
Die 35.000 Mitglieder von trnd, also die Basis für Eure Testpersonen – wo kommen die her?
Ganz zu Beginn waren kleine Online-Werbemittel die Initialzündung, ebenso ein Gewinnspiel. Dann hat sich das Ganze vornehmlich über Mundpropaganda entwickelt. Ab und zu probieren wir hier und da außerdem noch kleine flankierende Maßnahmen.
Wie schließt Ihr die Testpersonen aus, die sich nicht eignen?
Wir finden unsere Testpersonen in einem mehrstufigen Verfahren. Zunächst gibt es eine anonyme Befragung, also ohne dass die Marke genannt wird. Da erfragen wir zum Beispiel das Interesse an Zahnpflege oder Wellness. So finden wir heraus, wer sich wie interessiert. Eine engere Auswahl sprechen wir dann an, sich mittels Prosa gezielt bei uns zu bewerben.
Die Betreuung der Testpersonen muss sehr zeitintensiv sein – wie ist das organisiert?
Zunächst: Unsere Testpersonen betreuen kann nur, wer unser Verfahren in- und auswendig kennt. Man kann die Leute nicht mal eben kurz anwerben. Neben unseren Leuten im Haus haben wir mittlerweile zusätzlich freie Mitarbeiter, die unsere Prozesse bestens kennen. Entscheidend ist, dass immer jemand da ist, der zeigt, dass wir aufmerksam und ansprechbar sind. Das ist echtes CRM: Jeder, der eine Frage hat, bekommt auch eine ehrliche ernst gemeinte Antwort, von einem Menschen.
Wieso eignen sich eher physikalische Produkte für Word-of-Mouth-Marketing? Ist Dienstleistern nicht zu helfen?
Dazu muss ich zuerst sagen, dass UNSER Verfahren sich eher für physikalische Produkte eignet. Dienstleister sind besonders stark auf Mundpropaganda und Vertrauensaufbau angewiesen. Das Besondere: Dienstleistungen werden immer in Zusammenarbeit mit den Kunden erbracht. Dienstleister fahren dabei besser, wenn sie ihre Fans direkt selbst kennen lernen, z.B. weil sie sehr schnell antworten müssen, wenn Schwachstellen aufgedeckt werden.
Was physikalische Produkte angeht, ist natürlich viel mehr Begeisterung zu erreichen, wenn Leute eine Kiste mit Produkten nach Hause oder ins Büro geschickt bekommen. Wenn uns allerdings ein Dienstleister fragt und wir feststellen „Alle Achtung, da ist viel Potenzial, so was gibt es noch nicht, da können die Fans mitarbeiten“ – dann sagen wir nicht nein.
Eine Frage zu Deinem Lieblingsthema: Ist Web 2.0 ein Markenkiller?
Da handelt es sich ja vor allem um einen Schaukampf. Die Markenverantwortlichen sitzen oft in einem Elfenbeinturm und leben in ihrer Scheinrealität. Sie definieren Markeneigenschaften, und die Verbraucher definieren sich derweil eine ganz andere Realität.
Nun stellen die Markenverantwortlichen fest, dass es plötzlich negative Mundpropaganda an Stellen im Netz gibt, die jeder finden kann. Sie rufen nach Markenkontrolle und versuchen, dagegen anzugehen. Das ist nicht der Realität entsprechend. Dieser Austausch fand auch schon vorher statt, Konversationen haben auch schon vorher die Marke enorm beeinflusst. Das Web 2.0 macht die Dinge nur sichtbarer. Eindämmen konnte man das früher nicht, und heute schon gar nicht mehr.
- Anderer Inhalt mit diesem Tag
- "Web 2.0" CRM
- next07