in Economy, Medien

Wir stehen vor einer Konterrevolution

Der interaktive Konsument revolutioniert das Marketing. So lautet der erste Satz unseres Credo. Die Revolution geht hier also vom Volke aus, von den Konsumenten. Das Internet hat sie in die Lage versetzt, sich direkt und ohne Mittelsmänner aus beliebigen Quellen weltweit zu informieren, ihre eigene Meinung frei zu äußern und Waren oder Dienstleistungen in einer nie gekannten Auswahl beziehen zu können.
Doch wie jede Revolution hat auch diese ihre Verlierer. Das Internet ist, wir hatten es schon länger geahnt, eine disruptive Technologie. Es entwertet alles, mit dem es in Berührung kommt. Alles, was digitalisiert werden kann. Und das ist mehr, als manch einer dachte, damals, als er zum ersten Mal mit diesem immer noch neuen Medium in Berührung kam.
Der Preis einer Nachricht ist im Internet gleich Null. Das schmeckt den Verlagen nicht, die ihr Geschäftsmodell deshalb bedroht sehen. Sie fordern nun neue Leistungsschutzrechte, lebensverlängernde Maßnahmen für sterbende Blätter. Und die Politik scheint ihnen Gehör zu schenken.
Dabei befinden sich die meisten schrumpfenden Zeitungen und Zeitschriften in der Cash-Cow-Phase ihres Produktlebenszyklus. Sie können und sollen ohne weitere Investitionen gemolken werden, um den Cash-Flow zu liefern, mit dem ihre Eigentümer neue Geschäftsfelder aufbauen können. Was auch immer unter Leistungsschutzrechten zu verstehen sein mag, es gehört jedenfalls in die Kategorie der Innovationsbremsen und soll den Strukturwandel abfedern.
Die Vertriebskosten eines Musikstücks sind im Internet gleich Null. Das schmeckt der Tonträgerindustrie nicht, die deshalb ihre seit langem darbende Messe absagt. Sie fordert nun politisches Handeln, um den Diebstahl geistigen Eigentums im Netz zu stoppen. Gleiches Problem, gleiche Lösung?
Die Erosion der Tonträgerindustrie ist schon sehr viel weiter fortgeschritten als der langsame Niedergang der Printmedien, und die alternativen Vertriebswege im Netz (iTunes, Amazon MP3) sind längst etabliert. Hier ist nicht einmal zu ahnen, wie die Politik den darbenden Labels noch helfen könnte. Zudem fehlt der Musikindustrie ein entscheidendes Element, um sich im politischen Geschäft Gehör zu verschaffen: Deutungshoheit und Meinungsmacht.
Medien besitzen beides, und beides ist durch das Internet bedroht. Hier bietet sich die Intervention einer Politik geradezu an, die nach wie vor am liebsten nur mit Bild, BamS und Glotze regieren möchte und das auch ungebrochen tut. Hier zeichnet sich eine Allianz ab, die das Internet in Deutschland bedrohen könnte.
Nach Banken, Autoherstellern und Einzelhändlern sind nun die Medien an der Reihe. Sie sind die nächste Krisenbranche, die der Staatshilfe bedarf. Und die ersten Hilfsaktionen werden bereits eingefädelt. Die Allianz von Politik und Presse will um jeden Preis die Demokratie vor dem Internet retten – und bringt letztlich beides in Gefahr. Das Mantra dieser Allianz lautet: Das Internet darf kein rechtsfreier Raum sein.
Wir stehen vor einer Konterrevolution. Urheberrechtsnovellen, Vorratsdatenspeicherung und Netzsperren gegen Kinderpornographie waren nur der Anfang. Die CDU schickt sich schon an, mit Netzsperren gegen Urheberrechtsverletzer in den kommenden Wahlkampf zu ziehen. Der digitale Konsument, der zuallererst ein Bürger ist, soll auf ein (medien-)industrie- und politikverträgliches Maß zurechtgestutzt werden.
Das Motto der next07 lautete: Alle Macht dem Konsumenten!? Im Jahr 2009 ist ein offener Machtkampf ausgebrochen, in dem es um nichts weniger geht als die Kontrolle über das Internet. Eine TV-Diskussion bei Phoenix läuft morgen unter dem Titel „Außer Kontrolle – Welche Macht hat das Internet?“

Per Knopfdruck lassen sich Flugtickets buchen, Nachrichten verschicken und manchmal sichert das Internet auch den einzigen freien Zugang zu Informationen. So wie in diesen Tagen im Iran. Der Aufstand der Oppositionellen dort zeigt, dass das Internet längst eine Waffe ist, um sich gegen Zensur und staatliche Kontrollen zu wehren. Hat das Internet die Macht, eine Diktatur zu stürzen? Werden „Twitter“ und „Facebook“ reale menschlichen Beziehungen immer mehr ersetzen? Und wie viel Freiheit verträgt das Internet überhaupt?

Die Antwort auf diese Frage ist einfach. John Gilmore hat sie bereits 1993 gegeben:

The Net interprets censorship as damage and routes around it.


Siehe auch: Twitter in der Politik, im Iran und hierzulande