in Microsoft

Aus großer Macht …

Anfang des Jahres lud Microsoft zu einem intensiven Gespräch über die eigene Internet-Produktstrategie. Geladen waren eine Handvoll in der jeweiligen Community bekannte Flash- und HTML/CSS-Experten. Ich war einer davon. Microsofts Grundidee ist richtig und löblich, sich von unabhängigen Experten die Meinung sagen zu lassen, egal ob positiv oder negativ. Zentrale Themen waren die neue Produktlinie Expression und die neue Technologie Silverlight. Aber natürlich lassen sich in diesem Zusammenhang die anderen internetrelevanten Produkte nicht ausschließen.
Microsofts Eigenwahrnehmung ist, sie seien nicht nur auf dem Weg der Besserung in Bezug auf Webtechnologien, sondern mittlerweile richtig gut. Insbesondere der IE7 und der kommende IE8 wurden gelobt. Das frisch erschienene Expression Web wird als professionelles Programm verstanden, das einige bei Konkurrenten nicht auffindbare Features besäße.
Beide Eindrücke finde ich falsch. Vergleicht man Expression Web mit den Platzhirschen im professionellen Bereich – Dreamweaver und Eclipse -, so bleiben keine Eigenschaften übrig, die das Programm einzigartig oder besser machen würden. Für den semi-professionellen Frontpage-Bereich sieht es natürlich anders aus. Für diese Anwender kann man froh sein, nun Expression Web zur Verfügung zu haben.
Meine Meinung wurde von den anderen geteilt und unterstützt. Mittlerweile gibt es so viele ausgereifte Entwicklungsumgebungen, daß es sich eine große Softwarefirma wie Microsoft in meinen Augen nicht erlauben kann, halbgare Produkte zu veröffentlichen. Halbgar ist die derzeitige Version allein deshalb, weil einzig eine ASP-Unterstützung eingebaut wurde, keine Unterstützung für PHP, Perl oder Ruby. Speziell in Europa ist aber PHP angesagt.
Der IE7 wiederum ist nicht mehr als ein längst überfälliges Bugfix. Nach sechs Jahren wurden endlich die schlimmsten Fehler des IE6 ausgebügelt und ein paar neue Fähigkeiten hinzugefügt, die alle anderen Browser schon seit Jahren besitzen. Noch immer kann Microsofts Browser den Konkurrenten in seinen Fähigkeiten nicht das Wasser reichen. Dies scheint mit der Version 8 nun endlich angegangen zu werden. Aber anstatt diese neue Version wie versprochen relativ schnell folgen zu lassen, wird sie voraussichtlich erst zwei Jahre nach der Veröffentlichung des IE7 erscheinen. Angesichts des technologischen Rückstandes ist dies kein gutes Zeichen.
Ich bin davon überzeugt, daß Microsoft als Ganzes das Internet als Medium, die Geisteshaltung der darin Arbeitenden und die eigene Verantwortung für das Medium nicht begriffen hat. Die beiden Vertreter von Microsoft betonten tapfer, man habe eigene Open-Source-Projekte und schlechte Erfahrungen mit der Beteiligung an solche Projekten gemacht. Aber offenbar hatte man nicht begriffen, daß Open Source die treibende Kraft des Internet in den letzten Jahren war und auf absehbare Zeit wohl bleiben wird.
Ich habe den Eindruck, Microsoft begreift das Internet als Teil des eigenen Produktportfolios. Genau deshalb wurde nur ASP unterstützt. Und genau deshalb baute man in die neue Outlook-Version Word als HTML-Renderingengine ein. Das Ergebnis dieser Entscheidung ist, daß Microsoft einen Teil der Internetindustrie nicht nur um Jahre in die Vergangenheit zurückgeworfen hat, sondern auch in arge Turbulenzen bringt. Outlook ist in Unternehmen die Killerapplikation für E-Mails und Zeitmanagement. Die signifikante Verschlechterung der HTML-Darstellung in Outlook mag aus der Microsoft-Binnensicht verständlich sein, für das große Bild ist sie ein großer Schaden.
Das Internet ist nunmal mehr als nur IE und Outlook. Sie sind nur zwei der vielen Zugangsprogramme. Angesichts der großen Verbreitung müssen wir als Entwickler allerdings besondere Rücksicht auf ihre Rückschrittlichkeit nehmen. Zum Nachteil aller anderer Nutzer und zum Nachteil unserer Kunden. Denn unsere Rücksicht schlägt sich in längerer Arbeitszeit und damit in höheren Kosten nieder.
Auch Microsofts Mantra der Abwärtskompatibilität, der zehnjährigen Gewährleistung, ist in Bezug auf das Internet eine fatale Fehlentscheidung. Das Web als Massenphänomen ist kaum älter als diese Zehnjahresfrist. Wir können nicht ernsthaft als Entwickler heutzutage noch Rücksicht auf Nutzer von IE3 oder Netscape 4 nehmen. Ebenso wenig sollte dies ein Softwarehersteller tun. Die Browser der ersten Generationen waren aus heutiger Sicht mies. Selbst der IE6 ist bei nur oberflächlicher Betrachtung ein schlechter Browser, obwohl er zur Zeit seiner Veröffentlichung klasse war.
Es ist das Schicksal aller Produkte, die mit dem Internet zusammenhängen, daß sie extrem schnell altern. Unternehmen wie Microsoft brauchen den Mut, ihren Kunden sagen zu können, daß sie entweder auf ein neues Modell aufsteigen sollen oder aber von der Entwicklung abgehängt werden. Die enge Verzahnung von Betriebssystem und Browser ist hierbei allerdings nur hinderlich. Denn jedes Browserupdate wird so zu einem Systemupdate. Doch dieses Dilemma teilen alle Betriebssysteme – entgegen der landläufigen Meinung. Bei Apple heißt dies einfach Safari, beim KDE von Linux ist es der Konqueror. Genau wie bei Microsofts IE kann man bei Apple den neuesten Safari nicht auf einem älteren Betriebssytem installieren.
Wir brauchen ein allgemeines Bewußtsein dafür, daß alle Anzeigeprogramme für das Internet derzeit noch nicht den möglichen und eigentlich nötigen optimalen Stand erreicht haben. Kein Browser unterstützt alle existierenden Standards, obwohl diese nun schon seit teilweise 10 Jahren (HTML 4) existieren. Bei der HTML-Darstellung von Mailprogrammen und Webmailern ist die Unterstützung der gängigen Webstandards sogar noch viel schlechter.
Es sind die Fehlentscheidungen der Vergangenheit, an denen Microsft und wir heute leiden. Man versucht die Unsicherheit in HTML-Mails durch eine neue, wesentlich schlechtere Rendering Engine zu beheben. Dabei ist der IE nur mittelbar der Übeltäter. Das eigentliche Problem heißt ActiveX. Diese Technologie ist das eigentliche Problem, der eigentliche Fehler, den Microsoft beging. Ihn zu beheben, diese Technologie zu beseitigen, wäre eine wichtige Aufgabe für die nahe Zukunft.
Microsoft sollte ohne Rücksicht auf eine irgendwie geartete Produktkontinuität aus den Fehlern der Vergangenheit lernen. Es wäre sinnvoll, sich am Gecko-Projekt oder an WebKit zu beteiligen, um deren fortschrittliche Rendering Engines für den eigenen Browser zu nutzen. Sie könnten mehr Kreativität auf Zusatzfeatures und die Oberfläche konzentrieren.
Microsofts Situation sehe ich analog zum Spiderman-Dilemma: „Aus großer Macht folgt große Verantwortung.“ Microsoft muss die richtigen Schlüsse aus der eigenen führenden Rolle in der Industrie ziehen. Denn egal ob wir wollen oder nicht: Microsoft hat angesichts der hohen Nutzerzahlen für den IE und Outlook die führende Rolle bei Internetzugangssoftware inne. Aus dieser Führungsposition in Nutzerzahlen muß eine technologische Führung entspringen. Diese haben aber in Sachen Browser eher Opera und Apple inne. Microsoft kennt seine Macht, erkennt aber nicht die eigene Verantwortung für das gesamte Medium.
Der Dialog mit uns – genauso wie der Dialog, der mit dem Webstandards Project schon vor Jahren geführt wurde – ist ein erster Schritt in die richtige Richtung. Wir benötigen allerdings handfestere Signale für einen Strategiewandel. Der IE muss in kürzeren Abständen verbessert werden. Microsoft könnte einer vollen Nummer innerhalb von drei oder vier Monaten eine Zwischennummer folgen lassen. Jede neue Version (8.1, 8.2 …) würde ein paar Funktionen mehr besitzen und weitere Fehler beseitigen. Und Microsoft muss sich im Bezug auf das Internet von seinem Gewährleistungsmantra verabschieden. Das Internet ist nicht zerbrochen, obwohl alle modernen Browser um Lichtjahre besser sind als IE6 und IE7.
Mit einer offensiven Kommunikation, daß der IE6 zum uralten Eisen gehört, könnte Microsoft sich und uns allen einen großen Gefallen tun. Derzeit hält dieser Konzern die Entwicklung im spannenden Medium Internet zurück. Wir alle sind auf die eine oder andere Art Gefangene von Microsoft. Das muss sich ändern. Aber nur Microsoft kann dies wirklich ändern.