in Medien, Web 2.0

Leviten lesen Leviten

Sie haben es ja ohnehin schon nicht leicht, die Massenmedien. Und dann wird ihnen auch noch kräftig eingeschenkt. Markus Peichl, einer der ganz Großen der Druckmedienbranche und heute Juryvorsitzender beim gestern verliehenen Lead Award, liest seiner Branche die Leviten. In der Welt. Hier die entscheidende Passage:

WELT: Guter Journalismus wird vom Leser nicht geschätzt?

Peichl: Doch, aber die Leute werden mit so viel Mittelmaß erschlagen, dass sie das Gute nicht mehr sehen. Erinnern Sie sich an die Hitler-Parodie mit Helge Schneider? Die Frage „Darf man über Hitler lachen?“ war die Sau, die eine Woche lang durchs mediale Dorf gejagt wurde. Danach war die Sache vergessen, der Film floppte, basta. Dasselbe passierte mit dem Uschi-Obermaier-Film. Selbstverschuldet lassen sich die Printmedien im Kampf gegen schnellere Medien auf das Gebot der Nichtsubstanz und das Verdikt der Geschwindigkeit ein.

WELT: Sie wollen doch nicht leugnen, dass zu den genannten Themen kluge, gut geschriebene Artikel erschienen sind.

Peichl: Natürlich gab es die, aber sie wurden von der Vielzahl der Husch-Husch-Erregungen verblasen. Der Leser wurde zugekleistert mit substanzlosem Kram, weil jeder glaubte, auch etwas zum Thema absondern zu müssen. „Huch, das ist ein Thema, da müssen wir jetzt ganz schnell was dazu machen.“ Das ist der Mechanismus, der Redaktionen treibt. Und dann bombardieren sie den Leser mit allem, was auf die Schnelle beizuschaffen ist. Also fehlen den Journalisten Zeit und Kraft, sich mit dem Thema intensiv zu beschäftigen. Macht es doch einer, wird seine Mühe nicht belohnt, weil es der Leser in all dem Wust nicht erkennen kann. Wissen Sie, was ich nicht mehr hören möchte?

WELT: Was denn?

Peichl: Diesen Satz, den Printleute so gern von sich geben: „Wir werden gegen das Fast-Food-Medium Internet bestehen, denn der Leser möchte Selektion, und genau die geben wir ihm: Wir trennen das Wichtige vom Unwichtigen.“ Stimmt nicht, das ist Alibi-Wunschdenken. Printmedien verbreiten viel zu viel völlig ungefilterte Information im Affenzacken hinaus in die Welt.

Sprach’s und verlieh einen Lead Award an die in „Second Life“ erscheinende, englischsprachige Zeitung „The AvaStar“. Von diesem Bild-Ableger gibt es jetzt auch eine deutschsprachige Ausgabe. Deren Chefredakteur Rowan Barnett aka Regis Braathens spricht übrigens auf der next07.

In gewohnt höflicher Manier, einige Zacken schärfer als Peichl, aber nicht minder auf den Punkt bringt es der Doppelgänger jenes Jünglings, der sich jüngst als Anzeigenmotiv für Gucci verewigte. An der Blogbar. Sein Stück, vermutlich liest sich, als sei es nach der Lektüre von Peichls Brandinterview entstanden, im Auszug:

He, Ihr verblödeten, nach oben in Entscheiderpositionen gechwemmten Nichtskönner, Ihr Parasiten am alten Ruf abkratzender Medienmarken, was zum Teufel wollt Ihr eigentlich? Eure Auflagen kacken ab, die jungen Leser laufen Euch davon und die alten Leser sterben, seit 10 Jahfren seid ihr im Niedergang, und alles, was Euren Konzernen einfällt, ist der Einkauf von irgendwelchem Communitydreck, weil da die jungen Leute inzwischen sind. Ihr habt längst den Kampf um die Qualität aufgegeben, im Internet seid Ihr nur noch kleine Nummern unter irgendwelchen Drittverwertern und niveaulosen Zusammenrottungen. Die Tageszeitungen waren bis vor 10 Jahren unangefochtene Meinungsführer, heute passen Süddeutsche, FAZ, taz und Welt locker unter den Fussabstreifer von Spiegel Online, und auf das schwarze Dreclksblatt bei mir daheim kann ich selbst inzwischen mit meinen Blogs quotenmässig hinunterspucken. Im einzigen Zukunftsmarkt seid Ihr plötzlich ein Nichts voller greinender Bedenkenträger, Ihr habt in der New Economy jeden Scheiss mitgemacht und jetzt kauft Ihr wieder jeden Rettungsring, den Euch irgendwelche Gründer hinhalten, und Eure eigene Kernkompetenz der Informationsvermittlung geht Euch am Arsch vorbei, Hauptsache ihr habt diese tollen Web2.0-Spielzeuge.

Was früher mal Eure Basis war, mutige Autoren und Kenner der Region, sind heute billige Praktis und gekaufte Johurnaille, die brav kuscht, wenn Ihr den nächsten Onlineschmarrn ranschleppt. Ihr habt die Redaktionen nach der Printkrise wieder profitabel gehungert, weil das neue, miese Niveau auch für die Abos reicht. Das rettet Euch kurzfristig den durchgesessenen Hosenboden, aber der Nachwuchs hat keine Bindung mehr an Euch, und wird auch keine Bindung an Euch mehr bekommen. Die haben sich vertschüsst zu irgendeiner Internetbespassung, Youtube, Youporn, Myspace, wo sie für Euch und Eure miese Informationsabfütterung unerreichbar sind und bleiben. Ausser ihr kauft diese Dinger auf und hofft, dass ihr den Kaufpreis reinkriegt, bevor die Massen weiterziehen zum nächsten heissen Scheiss.

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