Eine andere Strategie für StudiVZ

Ein Nachtrag zur StudiVZ-Testwoche. Der Vollständigkeit halber. Bis jetzt erschienen:

Welche Alternativen hätte StudiVZ zu seiner derzeitigen Strategie, die auf schnelle Expansion in neue Märkte, Profitabilität und minimale Investitionen in Technik und Produkt setzt? Der Schlüssel liegt bei den Investitionen und erfordert eine 180-Grad-Wende weg von kurzfristiger Profitabilität. Was wäre zu tun?

Fischmarkt testet StudiVZ

  1. Markenwechsel: StudiVZ braucht einen neuen Namen, um in neue Nutzersegmente (Schüler, Alumni) und andere europäische Märkte expandieren zu können, ohne jeweils unter einer anderen Marke auftreten zu müssen. StudiVZ muss zu einer Marke werden – und die studentische Subkultur zurückdrängen, um neue Nutzergruppen anzusprechen.
  2. Technik und Produkt: StudiVZ muss den Rückstand zu Facebook aufholen, die fehlenden Features nachbauen und das Produkt auf den heutigen Stand bringen. Und sei es nur, um sich für den noch für 2007 angekündigten Start eines deutschsprachigen Facebooks zu wappnen.
  3. Offene Plattform/API: StudiVZ muss seine Plattform nach dem Vorbild von Facebook öffnen. StudiVZ muss die von Facebook gesetzten Standards Facebook API, Facebook Query Language (FQL) und Facebook Markup Language (FBML) implementieren.

Und warum? Um dem Schicksal zu entgehen, das droht, falls die heutige Strategie beibehalten würde: dem Weg vom Star zur Cash Cow eines Medienkonzerns – oder zum Exit*.

* Exit im Sinne von Ausstieg aus einer Beteiligung, nicht im Sinne von Exitus.

Eine Strategie für StudiVZ

StudiVZ-Testwoche beim Fischmarkt. Letzter Tag und vorläufiges Fazit.

Die Erfolgsgeschichte des StudiVZ handelt von atemberaubend schneller Expansion in einer genau umrissenen Zielgruppe. In etwa 18 Monaten gelang es, so gut wie alle deutschsprachigen Studenten auf der Plattform zu verzeichnen. Heute sind 2,9 Millionen Mitglieder registriert – mehr als es Studenten in Deutschland gibt.

Die Zielgruppe ist also ausgeschöpft, und folglich richtet sich der Expansionsdrang nun in jene europäischen Länder, die noch nicht von einer anderen Studentenplattform besetzt sind. Und für die Schüler gibt es den Ableger SchülerVZ mit über einer Million Nutzern.

Fischmarkt testet StudiVZ

Seit der Übernahme durch Holtzbrinck ist neben die schnelle Expansion ein zweites Ziel getreten: das schnelle Geld. Der neue StudiVZ-Chef Marcus Riecke ist angetreten, um für den Medienkonzern endlich Geld zu verdienen. Am Ende dieses Jahres oder Anfang des nächsten soll es soweit sein.

Technisch und funktional liegt StudiVZ mittlerweile um Lichtjahre hinter Facebook zurück. Doch das scheint für das Management kein Problem zu sein: „Wir glauben nicht, dass für die Nutzer automatisch mehr Wert entsteht, wenn man die Seite mit noch mehr Technik belädt“, sagt Marcus Riecke.

Und Technik-Chef Dennis Bemmann meint: „Für Facebook gibt es inzwischen Tausende neue Applikationen. Aber eine, die richtig praktisch ist und einen Mehrwert bietet, habe ich noch nicht gesehen.“ Was nur bedeuten kann, dass er entweder nicht richtig hingeschaut hat oder leugnet, was er gesehen haben muss.

Die heutige Strategie von StudiVZ lautet also:

  • Schnelle Expansion in neue Märkte mit jeweils anderen Marken.
  • Schnelle Profitabilität in Märkten mit De-facto-Monopolstellung.
  • Keine Investitionen in Technik und Produkt, die zu Lasten der Profitabilität gehen würden.

Ist diese Strategie richtig, verspricht sie Erfolg? Es kommt auf die Definition an. Wenn Erfolg heißt, die gewonnene Nutzerbasis früher oder später für teures Geld an Facebook zu verkaufen und bis dahin kleine operative Gewinne zu erwirtschaften, dann ist die Strategie vielleicht richtig. Vielleicht, weil es keine Garantie gibt, dass Facebook nicht aus eigener Kraft den europäischen Markt erobern wird.

Die Strategie von Facebook ist eine diametral andere:

  • Schnelle Expansion in neue Märkte mit der eigenen Marke.
  • Keine Profitabilität zu Lasten der Investitionen in Technik und Produkt.
  • Schnelle Weiterentwicklung von Technik und Produkt durch die Öffnung der Plattform für Drittanwendungen.

Schon der Name gibt Facebook einen enormen strategischen Vorteil gegenüber StudiVZ, denn er lässt Raum für eine weltweite Expansion. StudiVZ müsste sich erst umbenennen, was zwar möglich ist (siehe Xing), aber den Charakter der Plattform stark verändern würde.

Facebook ist ein Markenprodukt, StudiVZ hingegen auf dem besten Wege vom Star zur Cash Cow eines Medienkonzerns – oder zum Exit.

Gruppendynamik

StudiVZ-Testwoche beim Fischmarkt. Der vierte Tag.

Wer wie ich als Neuling durch StudiVZ irrt, dem fällt schnell auf, welch überragende Bedeutung die Gruppen haben. Es gibt je nach Quelle fast oder mehr als eine Million davon.

Und weil StudiVZ im Vergleich zu Facebook außer Unmengen von Profilen und Fotoalben nicht viel zu bieten hat, drückt sich in den Gruppen der kollektive Spieltrieb der verzeichneten Studenten am kräftigsten aus. So war es auch kein Zufall, dass Aimaq Rapp Stolle Interactive mit den Namen von drei skurrilen und relativ mitgliederstarken Gruppen Werbung für StudiVZ zu machen versuchte.

Fischmarkt testet StudiVZ

„Meine Gruppenliste sagt mehr über mich aus als mein Profil“, heißt eine Gruppe mit 21.451 Mitgliedern. Und recht hat sie, schließlich lässt sich per Beitritt zu einer Gruppe das eigene Profil am schnellsten und einfachsten individualisieren. Bei Facebook kann ich unzählige Anwendungen hinzufügen und mein Profil per Drag & Drop umbauen – nichts davon bietet StudiVZ. Außer eben – Gruppen.

Eine Gruppe ist schnell angelegt. Da gibt es kaum Unterschiede zwischen Facebook und StudiVZ. Es überrascht nicht, dass Facebook auch diesen Vorgang inzwischen elegant weiterentwickelt hat. Ich kann dort sehr einfach meine Friends einladen und damit die Gruppe bevölkern. Der gleiche Prozess bei StudiVZ ist kompliziert und langsam.

Meine neue Facebook-Gruppe hat schon 20 Members. Bei StudiVZ sind wir bis jetzt erst zu viert. Aber das wird sich wohl noch ändern.

Facebook hat übrigens, nur am Rande bemerkt, echte Links nach außen. Das ist irgendwie praktischer als die toten, nicht klickbaren URLs im StudiVZ.

Die Fischmarkt-Gruppen bei Facebook und im StudiVZ

Das offene Verzeichnis

StudiVZ-Testwoche auf dem Fischmarkt. Der dritte Tag.

Warum ist denn Dein Profil privat, wurde ich gestern gefragt. Das kannte ich so von Facebook, war meine Antwort.

Mein Profil dort ist nur für meine 66 Friends und meine beiden Networks sichtbar, also für die immerhin 54.536 Mitglieder im Network Germany und die 571 Mitglieder im Network FU Berlin. StudiVZ kennt gar keine Networks, wie ich sie von Facebook kenne. Die Suche nach „FU Berlin“ liefert ungefähr 299 Treffer, aber das können ja nicht alle sein. Oder?

Fischmarkt testet StudiVZ

Heute morgen habe ich mein StudiVZ-Profil wieder geöffnet. Das scheint dort die Grunderwartung zu sein – alles ist offen. StudiVZ bietet sehr viel geringere Möglichkeiten für die Konfiguration der Privatsphäre als Facebook:

  • Die Kontaktdaten sind immer nur für Freunde sichtbar. Nicht einstellbar.
  • Ich kann einstellen, ob ich als Besucher auf den Seiten anderer Leute sichtbar sein will oder nicht. Das kann ich bei Facebook gar nicht sehen und also auch nicht einstellen.
  • Will ich auf der Startseite anderer Nutzer mit meinem Profil vorgestellt werden?
  • Und wird mein Onlinestatus angezeigt oder nicht, können also andere sehen, ob ich gerade im StudiVZ unterwegs bin?
  • Außerdem kann ich andere Nutzer ignorieren.

Das ist alles. Verglichen damit habe ich bei Facebook detaillierte Möglichkeiten, den Grad meiner Öffentlichkeit zu bestimmen. Facebook ist auch in diesem Punkt sehr viel komplexer und weiter fortgeschritten als StudiVZ.

StudiVZ gibt mir mit einer simplen Anmeldung im Prinzip fast uneingeschränkten Zugriff auf alle Profile. Es ist also eher eine Art Telefonbuch, eben ein Verzeichnis im Wortsinn, und ein Micropublishing-Werkzeug für eine definierte Zielgruppe.

Mich erstaunt, dass StudiVZ nach den Debatten der letzten zehn Monate in Sachen Privatsphäre nicht sehr viel von Facebook gelernt hat. Die Plattform fasst sich auch in diesem Punkt sehr viel gröber an als ihr großes Vorbild. Das mag Gründe haben, die ich noch nicht kenne. Aber es bleibt doch bemerkenswert.

Mal Vorbild sein?

fellowweb.jpg
Was rät man der 16jährigen Nichte, die nicht weiß, was jobtechnisch aus ihr werden soll? Soll sie doch mal Fellowweb in den Browser eingeben und auf einer Internetplattform für Berufsanfänger landen. Die will der beruflichen Orientierungslosigkeit von Jugendlichen entgegenwirken und bei Berufs- und Studienwahl helfen.
Und man selbst kann als Berufstätiger auch gleich noch Vorbild sein, eine Mentorenfunktion übernehmen nämlich und bei Fellowweb das eigene Profil „spenden“ – das den eigenen Bildungsweg samt Zufriedenheit aufzeigt.
Vielleicht hilft das tatsächlich beim Finden von Interessen und Stärken – was das Anfänger-Hauptproblem zu sein scheint. Ich geh‘ jedenfalls spenden.

iliketotallyloveit

Bitte, was?! iliketotallyloveit.com ist eine Social-Shopping-Website, die vier Studenten aus Bremen just gelauncht haben.
Auf der communitybasierten Website stellen Nutzer Artikel online, die sie ‚cool‘, innovativ, besonders schön oder einfach nur seltsam finden. Immer mit Link zu einem Onlineshop.
Ob ein Produkt ‚loved‘ ist oder nicht, zeigt sich schnell: Jeder kann alles bewerten, und je mehr Bewertungen, desto höher die Chance, dass der Artikel es auf die Startseite schafft.
Zunächst einmal hat es iliketotallyloveit in die Wired geschafft. Die fragt „What’s wired this month“ und sagt über das Ding mit dem komischen Namen:

„You won’t find mainstream goods here – mostly doodads you didn’t know you wanted but suddenly like totally need.“

Eigentlich ist die Site ja ein digg.com-Klon – aber ein ziemlich sympathischer! Enjoy.

Kollektive Intelligenz, die zweite


Mag. Michael Schuster beim Elektrischen Reporter

„Wir verwenden Hierarchien, endlose Ordnerstrukturen, unübersichtliche Datenbanken und vor allem Email um zu kommunizieren und zusammen zu arbeiten. Ist es nicht an der Zeit, unsere Arbeitsweise zu überdenken und unsere Tools an die Herausforderungen anzupassen?“

Fragt das österreichische Startup System One und bietet als Lösung eine web-basierte Plattform an, die die Basistechnologien aus den Bereichen Social Software, Semantic Web und Information Retrieval verbindet.
Die Plattform soll Menschen in Unternehmen helfen, Informationen leichter zu finden, sie zu sammeln und neu zu ordnen, gemeinsam daran zu arbeiten und Information zu verteilen. Das klingt einfach – ist es auch, und hat enormes Potential:

„Es ist die spielerische Einfachheit und die dahinter stehende vernetzte Komplexität, die uns staunen und schmunzeln lässt. Systemisches Denken, umgesetzt in ein multifunktionales Interface im Browser.“

Techcrunch meint:

„The UI is as beautiful as the concept; it’s very simple to understand and use, the kind of thing that non-technical users won’t be scared of at all. … Many people really like online collaboration and document development systems, but security has been a major impediment for enterprise use. The option of getting a SystemOne box on site could be a great solution to that problem. … the fundamental concept of SystemOne is great.“

Auch dahin lohnt ein Blick: System One experimentiert mit Prototypen: Retrievr z.B. findet flickr Bilder visuell durch einfache Zeichnungen.

Kollektive Intelligenz

shapeshifters.net (Screenausschnitt)

„if you are a professional creative and believe that globalisation can have a human face you have come to the right place.“

The right place heißt in diesem Fall Shapeshifters.net, globaler Marktplatz für kleine Kreativ-Unternehmen.
Gleichgesinnte verschiedener Kontinente können dort ihre Produkte und Services innerhalb ihrer Peer Group diskutieren. Um die Qualität der Kommunikation hochzuhalten, haben dank „Invitation-only“-Politik nur Eingeladene das Recht, Beiträge zu posten: Jeder kann alles lesen und kommentieren – schreiben kann nur, wer von einem bestehenden Nutzer empfohlen wird und dem Code of honour zustimmt.
Praktisches Beispiel dieser schönen Anwendung: Frauen aus Costa Rica erhalten zur Herstellung von Trend-Produkten aus Abfall Beratung vom anderen Ende der Welt, nämlich aus Neuseeland.
„Wir messen uns daran, wie viele Interaktionen wir in der realen Welt zustande bringen“, verrät Erich Pöttschacher, Gründer und Eigentümer von shapeshifters.net, bei brand eins. „Im Meet-Space Meat-Space, nicht im Cyber-Space. Wenn wir nur Kommunikation um der Kommunikation willen erzeugen, sind wir gescheitert.“
Demnächst soll es Publikationen über außergewöhnliche KreativunternehmerInnen weltweit und ihre Unternehmen geben.
Und in 20 Jahren? Will Pöttschacher so etwas wie die Nachrichtenagentur Bloomberg für eine andere Form von Wirtschaft sein.

Die Stapelläufe der Woche

Cellity (Testimonial)
Die Mobiltelefonkostensparer von Cellity haben jetzt einen richtigen Webauftritt mit Testimonial und allem Drum und Dran. Außerdem startet die geschlossene Betatestphase. Und das Blog versprüht Startupatmosphäre.
(Und wer sich fragt, warum Sarik Weber gerade jetzt vor dem Börsengang von openBC sein neues Projekt gestartet hat, der kann sich mit einem Blick in den Börsenprospekt beruhigen. Er gehört zu den veräußernden Aktionären, die insgesamt bis zu 831.781 Aktien abgeben werden.)
Die Schnäppchensucherplattform dealjaeger.de startet am Freitag. Mehr dazu im PR-Ticker und demnächst auf dem Fischmarkt.

Gefährlicher Glaube

Spiegel-Gespräch mit Jaron Lanier (Ausriss)

Zwar etwas kurzfristig, aber sei es drum: Am Donnerstag findet das 2. Dresdner Zukunftsforum statt. Der prominenteste Sprecher ist Tim O’Reilly. Doch den größten PR-Coup haben die Veranstalter mit Jaron Lanier gelandet, der gestern im Spiegel vor dem gefährlichen Glauben an die Weisheit der Massen warnte.

Derzeit wird die Vorstellung immer populärer, das Kollektiv könne nicht nur Zahlenwerte wie einen Marktpreis ermitteln, sondern verfüge als eine – gern Schwarmgeist genannte – höhere Intelligenz über eigene Ideen, ja sogar über eine überlegene Meinung. Eine solche Denkweise hat in der Geschichte schon mehrfach zu sozialen und politischen Verheerungen geführt. Mir bereitet die Vision Sorgen, nur das große Ganze, das Kollektiv sei real und wichtig – nicht aber der einzelne Mensch. Das war der Fehler in allen totalitären Ideologien, vom Nazi-Regime über Pol Pot bis zu den Islamisten.

Das Interview hat völlig zu Unrecht bislang kaum Verbreitung in deutschsprachigen Blogs gefunden. Bis dato hat es neben dem Veranstalter-Blog selbst nur das Bildblog (!) erwähnt. (Was daran liegen könnte, dass der Text nicht im Netz verfügbar.)