Multichannel? Oh!

Multichannel war gestern. Konvergenz ist angesagt. Die Konsumenten sind längst soweit. Nur die Multichannel-Händler nicht. Forrester-Analyst Nikki Baird schreibt:

I’m asked all the time about which retailers are leading the way in true multichannel processes. Unfortunately, at this point, that’s like asking me who was leading the way in converged mobile phones back when they had to be bolted into your car: We’re so far away from real retail convergence, it’s hard to see who’s at the forefront.

Baird nennt ein paar Punkte, die der Retail-Konvergenz im Wege stehen:

  • In-store inventory management: Online kaufen, im Laden abholen. Das funktioniert nur, wenn Händler wissen, was sie tatsächlich im Inventar haben. Heißt die Antwort RFID?
  • Cross-channel fulfillment workflows: Der Prozess muss automatisiert werden. Was ist, wenn ich mehrere Waren einkaufe? Wie wird der richtige Laden ausgewählt? Wie wird der Kunde benachrichtigt, falls die Ware erst später im Laden steht? Fragen über Fragen.
  • One-stop loyalty and promotions: Der Kunde wird von mehreren Promotion-Maschinen beschossen – mindestens vom POS-System und von der E-Commerce-Plattform. Nichts passt zusammen. Schlimmstenfalls erhalten Kunden ein Sonderangebot per Mail für eine Ware, die sie gerade zum Normalpreis im Laden gekauft haben. Markenversprechen?

Dies sind nur drei von vielen offenen Fragen. Und dies betrifft nur einen Aspekt (online kaufen, offline abholen). Multichannel-Retailer haben noch viel Arbeit vor sich. Und Probleme, die reine Online-Versender nie haben werden.

Trendkost

Max Zorno stellt fünf Trends im Fach-Einzelhandel zur Debatte:

  • Trend 1: Viele traditionelle Fachhandelsgeschäfte werden sterben
  • Trend 2: Der stationäre Verkauf lebt weiter – aber in zwei gänzlich anderen Ausprägungen als heute
  • Trend 3: Beratung wird kostenpflichtig
  • Trend 4: Die Handelskette wird kürzer: Händler werden zu Herstellern
  • Trend 5: Das Internet wird zum Spezialitätenladen

Web 2.0 Awards

Mehr als 300 Web-2.0-Sites in 38 Kategorien, 21 Interviews mit den Gründern der Preisträger – die Web 2.0 Awards bieten eine Menge Futter für alle Web-2.0-Enthusiasten (und für Kritiker gleichermaßen, sofern sie wissen wollen, wovon sie reden).
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Irgendwie bezeichnend: In der Kategorie Marketing gibt es keine Preisträger, sondern nur lobende Erwähnungen für Opinity, Root und Your Elevator Pitch. Bei Retail gewann Etsy vor threadless und wists. Dazu ein Interview mit Robert Kalin von Etsy:

We want to create new ways to shop that are only possible using the Web as a medium. The industrial revolution and consolidation of corporations are making it hard for independent artisans to distribute their goods. We want to change this.

Der E-Commerce residiert in einer Sammelkategorie mit Business und Money (Gewinner: LinkedIn, Basecamp und Sidejobtrack). Lobend erwähnt wird hier Shopify, deren Blog ich auch den Hinweis auf die Awards verdanke.

Blitzauslieferung

Was für ein Tag! Seit Stunden schneit es wie sonst nur in Bayern. Auf den Zufahrten zum Elbtunnel geht gar nichts. Drei Stunden zur Arbeit – das ist neuer Rekord. Nur zwei Stunden Lieferzeit verspricht LicketyShip, ein neuer E-Commerce-Service, der sich – was sonst? – gerade im Betatest befindet. Wie machen die das? Ganz einfach: Sie lassen die Ware per Kurier im lokalen Einzelhandel abholen und direkt zustellen.
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Techcrunch – übrigens gerade mal wieder ziemlich down – zitiert LicketyShip-Gründer Robert Pazornik mit der Behauptung, dass 30 Prozent aller Amazon-Einkäufe (vermutlich in den USA) per Overnight-Shipping zugestellt werden, was in vielen Fällen teurer ist als die Ware selbst. Zielgruppe ist die must-have-now crowd, der es einfach nicht schnell genug gehen kann.
Das Gründerteam von LickeyShip hat im letzten Jahr die Notre Dame McCloskey Business Plan Competition gewonnen und bei der Jungle Business Plan Competition den zweiten Platz belegt. Das Startinvestment betrug rund 500.000 Dollar. Radu Olievschi:

“Most of that money actually goes into customer acquisition, because everything else is ready. We’ve got the partnerships, we’ve got the software, we’ve got the couriers lined up.”

Versandhandelsumsatzeinbruch

Destatis So langsam werde ich ein immer größerer Fan des Statistischen Bundesamtes. Ja, richtig gehört – wer Quelltext liest, steht auch auf Statistik. Aus der bundesamtlichen PR-Arbeit können jedenfalls auch die PR-Leute unter uns noch etwas lernen. Wie schafft es das Amt bloß, dauernd in den Nachrichten vorzukommen? Wie zum Beispiel heute morgen um 9 Uhr im Deutschlandfunk:

Deutscher Einzelhandel setzte im Januar deutlich mehr um

Der Einzelhandel in Deutschland hat zum Jahresauftakt ein deutliches Umsatzplus erzielt.
Die Branche habe im Januar preisbereinigt 1,7 Prozent mehr verkauft als im Vorjahresmonat, teilte das Statistische Bundesamt in Wiesbaden mit. Dies sei der beste Januar-Umsatz seit der Einführung des Euro Anfang 2002 gewesen. Hohe Zuwächse gab es vor allem bei Textilien.

Einfache Sache: Die amtlichen Pressemitteilungen kommen immer zur gleichen Zeit. Nachrichtenredakteure wissen Verlässlichkeit zu schätzen. Und dann gibt es da einen amtlichen Majordomo, der jedermann umstandslos per Mail mit Pressemitteilungen zu 72 verschiedenen Themen versorgt. Vom Presseportal mal ganz zu schweigen – auch dort gibt es den Stoff aus Wiesbaden.

Aber zurück zum Thema: Was nicht den Sprung in die Nachrichten geschafft hat, ist der massive Umsatzeinbruch im Versandhandel. Sage und schreibe 8,6 Prozent (real; nominal sogar 9,9 Prozent) verlor der Versandhandel im Januar im Vergleich zum Vorjahresmonat. So heftig hat es keine andere Branche erwischt. Noch im Weihnachtsgeschäft konnte der Versandhandel – gegen den allgemeinen Trend – massiv zulegen; jetzt kommt der Einbruch. Vor einem Jahr war das noch nicht so.

Korrigiert

Das Statistische Bundesamt hat seine Einzelhandelsbilanz für 2004 und 2005 korrigiert. Nach dem neuen Zahlen fiel das Minus im Dezember mit 0,5 Prozent nominal und 0,9 Prozent real (=preisbereinigt, also um die Inflationsrate korrigiert) geringer aus als Anfang Februar gemeldet (-1,2/-1,6). Das Plus im Gesamtjahr lag mit 1,5 Prozent nominal und 1,1 Prozent real entsprechend höher (1,2/0,7).

Besonders auffällig: Der Versandhandel wuchs im Dezember mit 6,3 Prozent nominal und 7,2 Prozent real noch erheblich stärker als zunächst gemeldet (3,4/4,2). Der schon Anfang Februar zu sehende Trend, nach dem sich die Abhängigkeit des Versandhandels vom Weihnachtsgeschäft erhöht, ist noch stärker als bislang zu erkennen war.

Der Hauptverband des Deutschen Einzelhandels (HDE) und das Statistische Bundesamt liegen übrigens in Sachen Umsatzstatistik nach wie vor über Kreuz. Zwar stellt Verbandspräsident Hermann Franzen nun konziliant fest:

Die nun vorliegenden Daten kommen den Ergebnissen deutlich näher, die der HDE auf Basis einer eigenen Umfrage ermittelt hat.

Anfang Februar hatte der HDE jedoch noch „fest mit einer Korrektur“ gerechnet.

Man könnte den Eindruck haben, dass sich das Statistische Bundesamt mit den Vorzeichen vertan hat“, hatte HDE-Sprecher Hubertus Pellengahr erklärt. Das gelte sowohl für die Einschätzung zum Gesamtjahr wie zu den Dezember-Ergebnissen.

Der HDE gehe nach wie vor davon aus, dass das Ergebnis für den Dezember positiv ausfallen wird. Das Geschäft sei im Dezember zwar wechselhaft verlaufen, in einigen Wochen besser als in anderen, aber „es besteht gar kein Zweifel daran“, dass das Ergebnis positiv sein werde, sagte Pellengahr. [Dow Jones]

Wer nicht vertikalisiert…

..verliert! Das Credo des Fischmarktes, wissenschaftlich fundiert und ausführlich dargelegt in der FAZ vom Montag (leider nicht online). Was BWL-Professor Joachim Zentes und sein Mitarbeiter Michael Neidhart in zähem Wissenschaftsdeutsch vortragen, fasst der Vorspann wie folgt zusammen:

Die gestiegene Macht des Handels führt dazu, daß Hersteller verstärkt neue Vertriebswege und Distributionskanäle aufbauen. Die starke Einkaufsmacht des Handels wirkt damit als Katalysator der Vertikalisierung. Während Handelsunternehmen zunehmend Vorstufen des Wertschöpfungsprozesses im Sinne einer beschaffungsmarktorientierten Vertikalisierung an sich binden, suchen Konsumgüterhersteller in einem verstärkten Ausmaß den direkten Konsumentenkontakt.

Vertikalisierung
Vorreiterbranchen dieser Entwicklung sind die Textilindustrie, aber auch die Automobilindustrie und die Glas-, Porzellan- und Keramikbranche. Und auch der gute, alte Multichannel-Vertrieb ist wieder da:

Konsumgüterhersteller gehen ferner verstärkt dazu über, parallel mehrere Absatzkanäle einzuschalten. […] Beispielhaft kann hier der Sportartikelhersteller Nike erwähnt werden, der sowohl den selbständigen Fachhandel beliefert (traditionelle Distribution) als auch über eigene Flagship-Stores, Offprice-Stores und das Internet in Eigenregie seine Markenartikel distribuiert.

Lesen! Kostet im FAZ-Archiv 2,50 Euro.

Goodbye Duttenhofer – hello Media Markt

Duttenhofer
"Media-Saturn kauft Duttenhofer", titelt die Main-Post nicht ganz zutreffend. Zwar gibt Duttenhofer sein Stammgeschäft in der Würzburger Innenstadt und seine drei unter der Zweitmarke Top 3 betriebenen Standorte in Bad Neustadt, Würzburg und Schweinfurt ab – dort allerdings erzielt Duttenhofer nur noch zehn Prozent seines Umsatzes.

Das Gros ihrer über 300 Millionen Euro Umsatz erwirtschaftet die "Traditionsfirma" (Main-Post) im europäischen Versandhandel unter sechs Marken, von denen Technikdirekt.de als Endkundenmarke die bekannteste sein dürfte. "Die größte Expansion", vermerkt lapidar die Website, "fand in den letzten zehn Jahren in diesem Bereich statt". Und:

Eng verbunden mit dem Erfolg des Versandhandels ist der professionelle
Auftritt im Internet. Jeder der sechs Versender präsentiert sich in
einem eigenen Internetshop mit zukunftsweisender Shoptechnik.

Man mag das Ende (und es ist ja eines, auch wenn Rolf Duttenhofer in der Main-Post erklärt, in Media-Saturn "einen Partner gefunden zu haben,
der die vier Märkte erfolgreich weiter betreiben wird und allen
Mitarbeitern eine Perspektive bietet") eines Lokalmatadors bedauern und die fortschreitende Uniformierung der Innenstädte beklagen. Doch es scheint eng zu werden für stationären Einzelhandel, der sich den Maximen "Ich bin doch nicht blöd" und "Geiz ist geil" verweigert. Und umgekehrt betrachtet: Duttenhofer ist auch nicht der erste Versandhändler, der seine Wurzeln im stationären Handel hat.

[Danke für den Hinweis an Björn Schotte!]