Deutschland ist kein rechtsfreier Raum

Hin und wieder verschicken Menschen in Deutschland Morddrohungen. Mit der Post. Das Schlimmste: die Täter vergessen immer öfter, diese Briefe mit einem korrekten Absender zu versehen.
Doch Deutschland ist kein rechtsfreier Raum – also werden ab sofort jeden Morgen alle Briefe vom örtlichen Polizeipräsidenten untersucht. Wenn er etwas entdeckt, was er für eine Morddrohung hält, dann verbrennt er den Brief. Den Absender ermitteln kann er nicht, das ist zu schwierig. Den Empfänger informieren lohnt nicht, denn Morddrohungen werden meistens sowieso nicht in die Tat umgesetzt und beunruhigen will man ja auch niemanden. Einmal im Jahr darf ihm bei der Kontrolle der Briefe ein Richter zusehen, wir leben ja schließlich in einem Rechtsstaat.
Absurd? So etwas gibt es in einem freien Land nicht? Stimmt – aber sicher nicht weil kein Politiker diese Idee gehabt hätte, sondern weil es schlicht und einfach zu teuer wäre, jeden Morgen sämtliche Briefe zu lesen. Aber in Berlin ist man nicht dumm: es gibt da ja das Internet, da ist alles preiswerter und einfacher – endlich kann diese geniale Idee in die Tat umgesetzt werden.
Ob es weniger Morddrohungen gibt? Nein. Die werden jetzt gefaxt. Ob die Menschen es toll finden, wenn ihre Briefe jetzt gelesen werden? Ja. Und wer es nicht toll findet, der ist ein böser Mensch. Oder wenigstens jemand, der böse Menschen gut findet.

Politik online und Netzpolitik

Foto von Oliver Baumgart

Es sind mehr Fragen und Optimismus, die die „Politik Online“-Session
unter Leitung von Falk Lüke (Berlin) beim ersten Barcamp Deutschlands
in Berlin prägen.

Kann man online Politikverdrossenheit entgegenwirken? Wo zieht man –
vor allem am rechten Rand – die Grenze? Ist auch ein rechtes Blog
Information oder Demagogie? Sind Wikis innerhalb von Parteien oder
über Parteigrenzen hinweg eine Möglichkeit ausgewogene und
„bullshit-freie“ Information an Bürgerinnen und Bürger zu bekommen?
Immerhin konnte man sich auf einen Ansatz einigen: Wünschenswert wäre
eine „Matrix der Meinungen“, in der die Ansätze der Parteien zu
verschiedenen Fragestellungen in Differenz zu anderen Parteien und
eventuell in Differenz zu früheren Statements der Partei dargestellt
werden.

Markus Beckedahl hat unangenehme Fragen gleich zu
Anfang: Wie erklärt sich die Differenz zwischen Interesse an
netzpolitischen Fragestellungen und dem Mangel an Aktion und dem
Unwissen der Entscheider in der Politik andererseits? Also kurz: Warum
engagieren sich so wenige? Warum nutzen die Techniker nicht ihre
Fähigkeiten, um politische Infrastrukturen zu bauen?
Während viel zu wenige ihre Blogs als politische Plattformen nutzen,
arbeiten andere an einem Konsumnetz, das dem Fernsehen immer ähnlicher
wird.

Ein Erfolg war zu erzeichnen beim Thema Softwarepatente: Geeks und
Nerds vernetzen sich über Mailinglisten und beschäftigten sich mit
Politik-Hacking, indem sich eine große Gruppe nach Brüssel begab und
das direkte Gespräch mit Politikern suchte – und sie waren
erfolgreich. In der breiten Bevölkerung aber bleiben IT-Themen unter
der Decke, solange nicht wirklich große Skandale passieren. Was wäre zu
tun, um solche Probleme einer breiteren Gruppe zu kommunizieren? Als
Hürde erweist sich dabei natürlich die Techniksprache der Fachleute –
hier wäre bei einer Übersetzung ins Allgemeinverständliche anzusetzen.

Eine der nächsten Herausforderungen sei das neue Urheberrecht, das
sich auf ein im Wesentlichen „kaputtes“ Digital Rights Management (DRM)
stütze. Aber auch bei den Geeks stoßen manche immer wieder
durchgekaute Themen nicht selten auf taube Ohren.

Als erfolgreich erweisen sich Kampagnen, die sich auf konkrete Handlungen
kaprizieren: Briefversand, Demonstrationen auf der Straße und
Ähnliches. Gleichzeitig könnte sich die ‚Netzpolitik‘ Hilfe zum
Beispiel bei den Mediengestaltern holen, Wettbewerbe veranstalten. Bei
großen Agenturen stößt man da wohl eher auf taube Ohren, ist die
Einschätzung von Patrick Breitenbach.

Was fehlt ist neben einer bürgernahen Sprache auch der Super-GAU, es
fehlt ein Tschernobyl-Äquivalent, es fehlt die großäugige Robbe.
Solche Bilder – natürlich ohne die dazu passende Katastrophe – gilt es für die IT zu schaffen und in globale Kampagnen einzubinden, darauf konnte sich die Gruppe einigen. Und schaut
neidisch in die USA, wo sich eine breite Koalition für die
Netzneutralität zusammen.

Foto: Oliver Baumgart