Media 2.0: Wo sind die Profite?

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Scott Karp schreibt in Publishing 2.0 unablässig spannende Dinge über The Business of Publishing in the Digital Age (so die Unterzeile). So jüngst eine konzise Abhandlung über die Frage, wie profitabel Media 2.0 tatsächlich ist. Scott macht die Rechnung am Beispiel von MySpace auf, das mit 28 Mrd. Seitenabrufen im März 2006 (was 366 Mrd. auf Jahresbasis ergeben würde) nach Schätzungen auf gerade mal 200 Millionen Dollar Jahresumsatz kommt:

Do the math — that’s a CPM of $0.06 $0.55!

Nun versucht zwar MySpace auf allerlei mehr oder weniger innovative Art, zusätzlichen Werbeplatz zu verkaufen – doch wozu brauchen große Marken eigentlich Werbung auf MySpace, wenn sie genauso gut oder eher noch besser die MySpace-Community nützen können, ohne dort selbst präsent zu sein? Dann nämlich, wenn ihr Branded Entertainment (siehe Pirellifilm, auch wenn das sicher kein übermäßig brilliantes Beispiel ist) seinen Zweck erfüllt und auf MySpace von den Nutzern selbst verbreitet wird?

Es könnte also sein, meint Scott, dass die Effizienzgewinne des Marketing 2.0 zum größten Teil direkt an die Werbungtreibenden gehen – und nicht an die Medien:

I’m speculating that in a 2.0 future, total spending on marketing and advertising will shrink as marketing 2.0 proves to be far more cost efficient than marketing 1.0 — and big advertisers start pocketing that half of their advertising costs that were previously wasted.

Schlechte Nachrichten für Rupert Murdoch und Georg von Holtzbrinck?

Passende Marketing-Botschaften

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Die Internet World bereitet freundlicherweise das Terrain für unseren kleinen Kongress und spricht mit Volker Glaeser, Director Media & Search bei Yahoo Deutschland und einer der Referenten von Next 10 Years.

Wagen Sie doch einmal einen Blick in die Zukunft: Wie sieht E-Marketing und E-Commerce in fünf Jahren aus? Wird die soziale Komponente des Web das Marketing und den Vertrieb komplett revolutionieren?

Glaeser: Revolutionieren vielleicht nicht,
aber es wird viel einfacher sein, E-Commerce und E-Marketing zu
betreiben. Web 2.0 bildet die Grundlage für eine Kommunikation unter
Massen. User, die bereit sind, Daten von sich preiszugeben und passende
Marketing-Botschaften zu empfangen, sind für Marketing-Maßnahmen
leichter zugänglich. Darüber hinaus wird der Konsument transparenter,
weil er es selber möchte.

Was hier nicht steht

Relevantes aus den Feiertagen:

Interactive-Agenturen: Gebt jetzt Gas!

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Bernd Michael, der nach seinem Ausscheiden aus allen Grey-Ämtern sichtbar entspannter pointiert, schrieb auf dem gestrigen New Media Award den Interactive-Agenturen einen knackigen Drei-Punkte-Schlachtplan ins Stammbuch:

  1. Macht Euch zum Freund der Marketing-Controller! Ihr habt richtig gehört: Effizient und Media werden die Kommunikation künftig stärker prägen als je zuvor. Und mit dem Thema Messbarkeit habt ihr den heiligen Gral in der Hand.
  2. Arbeitet an der Verständlichkeit Eurer Sprache! Wenn Ihr Vorstände überzeugen wollt, sprecht klares, einfaches Deutsch — kein Buzz.
  3. Sagt den jungen Kreativen in den Werbeagenturen, dass sie sich in der Tür geirrt haben. Kreativität entsteht heute aus dem Online-Kanal, nicht aus dem 30-Sekünder.

Wenn er selbst noch mal 25 wäre, würde er heute in eine Interactive-Agentur gehen. Procter & Gamble schickt erst jetzt hunderte von Mitarbeiten in die New-Media-Abteilungen. Sie haben sich das Thema jahrelang sehr intensiv angeschaut: es funktioniert. Und was Procter macht, werde der Rest der Industrie kopieren. Das Spiel beginnt nun wirklich.

Reinhard Springer

reinhardspringer.pngAuf einer ganzen Doppelseite in der Horizont erklärt Reinhard Springer die Welt des Marketings. Köstlich. Muss ich erklären, wer Reinhard Springer ist? Sein legendäres Interview in der w&v sagt alles. Das hängt ihm bis heute nach, wie er jetzt bekennt:

Dank einer Schlagzeile, in der es hieß, dass ich die Abschaffung der Marketingabteilungen fordere, mussten mich diese Leute fürchten wie der Teufel das Weihwasser. Mein Statement wurde nicht als konstruktive Provokation angesehen, sondern hat Angst geschürt. Daran sehen Sie, wie dünnhäutig das Marketing heutzutage ist.

Seinen Rückzug aus der Markenberatung reinhards erklärt er mit fehlender Energie:

Wir erleben gerade eine Eiszeit der Innovation. Um dieses Eis zu schmelzen, brauchst du jede Menge jugendliche Hitze. Die habe ich aber nicht mehr.

Springer hat den Innovationsantrieb lokalisiert: Die Inspiration der Zukunft wird aus dem Online-Business kommen, sagt er. Und:

Klassische Werbeagenturen werden aussterben wie die Postkutschen. Darum finde ich die Symbiose von S&J und E7 auch so wichtig. Ansonsten sehe ich zwei Kategorien von Dienstleistern: Zum einen die echten Partner in der Markenführung, die mit Fachwissen, Erfahrung und Überzeugung für den Erfolg einer Marke kämpfen. Zum anderen die Helfer, die von der Regalnase über Events bis hin zu Direct-Mails an der Umsetzung des Markenauftritts mitarbeiten.

Web 2.0 Awards

Mehr als 300 Web-2.0-Sites in 38 Kategorien, 21 Interviews mit den Gründern der Preisträger – die Web 2.0 Awards bieten eine Menge Futter für alle Web-2.0-Enthusiasten (und für Kritiker gleichermaßen, sofern sie wissen wollen, wovon sie reden).
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Irgendwie bezeichnend: In der Kategorie Marketing gibt es keine Preisträger, sondern nur lobende Erwähnungen für Opinity, Root und Your Elevator Pitch. Bei Retail gewann Etsy vor threadless und wists. Dazu ein Interview mit Robert Kalin von Etsy:

We want to create new ways to shop that are only possible using the Web as a medium. The industrial revolution and consolidation of corporations are making it hard for independent artisans to distribute their goods. We want to change this.

Der E-Commerce residiert in einer Sammelkategorie mit Business und Money (Gewinner: LinkedIn, Basecamp und Sidejobtrack). Lobend erwähnt wird hier Shopify, deren Blog ich auch den Hinweis auf die Awards verdanke.

Die auf den Plattformen leben

Martin Röll prägt einen bösen, aber irgendwie treffenden Begriff: Primitivinternet.

Manche glauben, dass Menschen vor allem durch Neugierde und Macht- bzw. dem daraus resultierenden Selbstdarstellungstrieb angetrieben sind. Sie möchten Neues, Interessantes finden und sich selbst darstellen. Sie wollen das Vertrauen und die Anerkennung der anderen und sichtbare Symbole, die ihren Status repräsentieren.

Sie werden deshalb Teil einer „Community“, das ist hier: eine technische Plattform im Internet, in der sie das finden und in der es ein System des Aufstiegs im „Trust“, das ist das technisch ausgedrückte Vertrauen der anderen in einen, gibt. […]

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Das ist das Primitivinternet. Es gibt das schon lange, aber jetzt ist mir das richtig klar.

Es gibt die: die, die auf den Plattformen leben, die Reputation-Points sammeln, die gierig die von den Viral-Marketers geseedeten Clips replizieren und weiterschicken (hurra! Wirtstiere!), die jede noch so dumme Frage auf COSMiQ beantworten, um Punkte, Reputation, Trust oder wasauchimmer zu sammeln oder auch einfach nur die Zeit totzuschlagen. Es gibt sie.

In der Tat. Aber sind sie die bevorzugte Zielgruppe für das Marketing? Wohl kaum (oder jedenfalls nicht generell), meint wohl auch Martin. Doch da gibt es auch noch ein anderes Internet, das völlig andere Züge trägt. Welche Leute findet man dort?

Die, die nur wenig Zeit am Netz verbringen, ganz gezielt, wenn sie was suchen oder kommunizieren wollen. Die im wesentlichen woanders, vielleicht offline, leben, ein richtiges Leben [tm] haben und nicht Mitglied auf einer, sondern auf vielen Plattformen sind. Für die „Community“ nicht Software und Plattform bedeutet, sondern menschliche Gemeinschaft. Die Reputation an menschlichen Äußerungen spüren und nicht als Trustpoints messen. Manche von denen haben vielleicht ein Weblog, in dem sie mal schreiben, mal behaupten, mal fragen, mal Information weitergeben, über das sie Leute kennenlernen, Kontakte pflegen, sich selbst „darstellen“, naja: Sie leben halt da und dabei stellt man sich fast automatisch dar.

Manche lassen sich durch Bonbons und Trust-Punkte motivieren. Manche sind komplexer.

Nun gut. Das ist jetzt eine übersichtliche Dichotomie zur Veranschaulichung der komplexen Realität. Aber warum nicht? Es sind übrigens Resultate der gestrigen Diskussion in der Labrador Lounge. Erste Bilder bei Lummaland, Behindertenparkplatz und Ringfahndung. Das Foto oben ist von Nico Lumma.

Branded Entertainment by Pirelli

Pirelli tritt in die Fußstapfen von BMW. Am 23. März startet ein Internet-Kurzfilm („The Call“) mit John Malkovich und Naomi Campbell in den Hauptrollen. Das Projekt stammt von Leo Burnett Italy und spielt das alte, ewig neue Thema vom Kampf zwischen Gut und Böse. Ort der Handlung ist der Vatikan, Protagonisten sind ein päpstlicher Exorzist (Malkovich) und das personifizierte Böse (Campbell). Ein Trailer ist auf der Website bereits zu sehen.

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Pirelli will damit eine neue Generation von Internet-Kurzfilmen starten, die mit den gleichen Mitteln produziert werden wie die großen Hollywood-Filme – anders als die BMW-Filmreihe:

Pirelli says its project, developed by the Leo Burnett advertising agency, goes several steps further. For one, the branding will be unusually subtle, with more Christian crosses than Pirelli P’s in the frame. The other automakers‘ films have featured lingering, loving shots of cars.

„The Call“ will be the centerpiece of Pirelli’s marketing for several years; and advertising in other media, including print and television, will be built around the Internet film. Pirelli said „The Call“ and its associated advertising would account for 60 percent of the company’s marketing budget — a Hollywood-style gamble on one production.

„We’re talking about a very important project, not just an ‚Internet‘ project,“ said Nicola Novellone, chief operating officer at Leo Burnett Italy, a subsidiary of Publicis Groupe. [E-Commerce Times]

Production.com zitiert AdAge mit weiteren Details. Demnach plant Pirelli einen Film pro Jahr.