Im vierten Teil seiner Philosophie für Nerds schreibt Jörg Friedrich in Telepolis über den Begriff des Virtuellen. Er illustriert mit einigen Beispielen, wie Virtuelles in die Alltagskultur eindringt und dabei aufhört, virtuell zu sein. Nichts sei an sich virtuell, erläutert Friedrich, sondern nur in Bezug auf etwas anderes. Virtuell heiße, dass etwas nicht physisch das ist, was man zunächst erwarten würde, aber dass es genauso wirkt.
In meiner Kultur ist ein Laufwerk ein Ding in diesem PC auf meinem Tisch, so habe ich diesen Begriff gelernt, so ist er mir selbstverständlich. Der Speicher in der Cloud ist demgegenüber virtuell. Jemand, der ein paar Jahrzehnte nach mir begonnen hat, mit Computern umzugehen, wird den Speicher in der Cloud genauso als Laufwerk ansehen wie die Festplatte im PC oder die Speicherkarte. Damit ist all das für ihn auch nicht mehr virtuell, es ist genau das, was er erwartet, wenn er „Laufwerk“ sagt. Was einmal eine neu geschaffene, virtuelle Version eines Kulturproduktes oder einer Kulturtechnik war, ist Teil der alltäglichen Kultur geworden.
Genau diesen Prozess meine ich, wenn ich von Post-Digital spreche. Digital war lange Zeit gleich virtuell. Online-Shops waren virtuelle Läden, Ebay ein virtueller Marktplatz, Second Life eine virtuelle Welt. Wir sprechen von virtueller Realität. Virtualität definiert die Wikipedia so:
Virtualität ist die Eigenschaft einer Sache, nicht in der Form zu existieren, in der sie zu existieren scheint, aber in ihrem Wesen oder ihrer Wirkung einer in dieser Form existierenden Sache zu gleichen. Das Wort führt über den französischen Begriff virtuel (fähig zu wirken, möglich) zurück auf das lateinische Wort virtus (Tugend, Tapferkeit, Tüchtigkeit, Kraft, Männlichkeit).
Virtualität spezifiziert also eine gedachte oder über ihre Eigenschaften konkretisierte Entität, die zwar nicht physisch, aber doch in ihrer Funktionalität oder Wirkung vorhanden ist. Somit ist „virtuell“ nicht das Gegenteil von „real“ – obwohl es fälschlicherweise oft so verwendet wird – sondern von „physisch“.
Post-Digital ist genau jener Prozess, der die Grenze zwischen virtuell und physisch zunehmend verwischt und am Ende ganz aufhebt. Von der früher notwendigen physischen Realität kann nun abstrahiert werden, weil die virtuelle ihren Platz eingenommen hat. Auch diese existiert ja nicht ohne ein physisches Substrat. Digital ist heute so selbstverständlich, dass es als solches nicht mehr wahrgenommen wird. Post-Digital heißt, dass die Unterscheidung zwischen digital und nicht-digital keinen besonderen Erkenntnisgewinn mehr hat.