Marken und Konsumenten wieder konnektieren

Interaktivagenturen haben nach Einschätzung von Forrester das Potenzial, innerhalb der nächsten zehn Jahre den Lead bei der strategischen Markenführung zu übernehmen. Die umfangreiche Untersuchung der Marktforscher steht bei Ogilvy vollständig zur Verfügung.
Das Fachblatt Horizont befasst sich in seiner heutigen Ausgabe mit dieser These. Redakteur Bert Rösch befragte dazu auch Matthias Schrader.
Bert Rösch: Was halten Sie von der Forrester-These, dass Interactive-Agenturen prinzipiell das Potenzial haben, innerhalb der nächsten zehn Jahre den Lead bei der strategischen Markenführung zu übernehmen?
Matthias Schrader: Strategische Markenführung orientiert sich immer stärker an den Bedürfnissen der Konsumenten. Das Potential zur Leadagentur hat künftig nicht mehr zwangsläufig die Agentur, die den breitesten Fächer an Kommunikationsdisziplinen unter einem Dach vereint und den größten Anteil am Mediakuchen verwaltet.
Leadagentur wird, wer für Marken und Unternehmen den höchsten Mehrwert generiert. Dieser Mehrwert speist sich aus der Fähigkeit, den Konsumenten in seinem Verhalten und seinen Bedürfnissen zu verstehen und daraus Maßnahmen abzuleiten, die Marken und Konsumenten wieder konnektieren.
Vor diesem Hintergrund werden wir in den kommenden Jahre spannende Duelle zwischen den heutigen Disziplinen und Agenturphilosophien erleben. Ich bin überzeugt, dass die Interaktivagenturen eine glänzende Ausgangssituation haben, sich hier sehr vorteilhaft zu positionieren.
Sind die in der Studie genannten zehn Jahre realistisch?
Es wird ein langsamer Wechsel sein. Ich rechne persönlich aber eher mit fünf Jahren.
Was qualifiziert Interactive-Agenturen, die Führungsrolle zu übernehmen? Was sind die Argumente, die dafür sprechen, dass die Klassiker ihre Führungsrolle behalten?
Interaktivagenturen spüren den Herzschlag von Millionen Konsumenten jeden Tag. Die Konsumenten haben sich für das Internet als den Kanal Nummer 1 entschieden, über den sie Beziehungen zu Marken und Unternehmen aufbauen wollen.
In dem Maße, wie das Web zum Medium Nummer 1 wird und die von Interaktivagenturen betreuten Plattformen auch die klassische Retailwelt am POS, CRM und (IP-)TV durchdringen, geht es immer mehr um die Entwicklung von echten Markenerlebnissen, die Beziehungen stiften. Die Stärke der Klassik, das Story-Telling, schwindet im gleichen Maße und bewegt immer weniger.
Was sagen Sie zu dem Vorwurf von Forrester, dass die Interactive-Agenturen bislang noch nicht ihre Fähigkeit unter Beweis gestellt haben, Markenstrategien zu managen? Woran liegt das? Was tun Sie dagegen?
Wir sind erst im Jahre 10 der neuen Welt, die wir ruhig und zielstrebig aufbauen. Wenn die Kunden so weit sind, sind es die Interaktivagenturen auch.
Sind Ihnen Kampagnen bekannt, bei denen eine Interactive-Agentur die Führung bei der strategischen Markenführung übernommen oder zumindest eine zentrale Rolle gespielt hat?
Die strategische Markenführung der Zukunft zielt auf den Kern: Beziehungen zwischen Marken und Konsumenten zu bauen und zu vertiefen. Taktische Maßnahmen wie Kampagnen werden auch in Zukunft von Interaktivagenturen nicht zu sehen sein.

Standort Frankfurt verstärkt

Unser Büro in Frankfurt freut sich über die Rückkehr von Jens Grochtdreis, seines Zeichens anerkannter Experte im Bereich der Frontend-Technologien und Blogger. Nach einem fünfmonatigen Intermezzo als Senior Informationsarchitekt bei netz98 in Mainz ist er wieder da – ab 2. Januar als Senior Frontend Developer.
Bis August 2007 hatte er drei Jahre lang als Senior Frontend Engineer bei SinnerSchrader in Frankfurt gearbeitet. Denis Richard, Teamleiter Technik in Frankfurt, sieht in Jens „einen Visionär im Internet, der zukunftsrelevante Themen für unsere Kunden vorantreiben wird.“ Jens freut sich auch, und das klingt so:

Der mir angebotene Verantwortungsbereich machte eine Rückkehr sehr attraktiv. Ich freue mich auf meine neue Aufgabe, mit meinen alten und ein paar neuen Kollegen. Und ein bisschen bin ich auch stolz darauf, dass mich mein alter Arbeitgeber wieder einstellt und nicht schmollt. Nicht jeder hat diese Größe bzw. Grundeinstellung.

Es weihnachtet sehr

Im Büro nebenan stapeln sich die Weihnachtskarten zu hunderten. Die ganze Agentur ist dieser Tage im Unterschriftenfieber. Ja, richtig gehört: Wir verschicken Karten aus Papier. Und ich darf noch nicht verraten, wie sie aussehen.
Die kreativste klassische Werbeagentur hingegen versendet Mails. Aber nicht einfach so. Sondern mit Stil und mit Segen.

Scholz & Volkmer hat sich in diesem Jahr die große Scholz & Volkszählung ausgedacht. Wer im Besitz eines Codes ist, kann über die Website einen Mitarbeiter in Echtzeit durch die Agentur steuern und mit Hilfe eines Scanners mehr über die Kollegen im Hause erfahren. Schöne Idee, gut umgesetzt! [via]
Was machen die anderen? Hinweise & Links bitte in die Kommentare!

Running Gag

Als Nike im April seinen Laufschuh-Werbeetat von Wieden+Kennedy zu Crispin Porter + Bogusky verschob, war die Aufregung in der Werbewelt groß. Nike arbeitet seit Jahrzehnten mit Wieden & Kennedy, und je seltener ein Etat die Agentur wechselt, umso wichtiger das Ereignis.
Nun kommt die erste Arbeit der neuen Agentur auf den Bildschirm, und das erste Echo ist eher gemischt. Hier der TV-Spot:

Einer der wesentlichen Gründe für den Wechsel war seinerzeit die Unzufriedenheit mit den Onlineaktivitäten. Dies betraf nicht die Websites, um die sich auch weiterhin R/GA kümmert, sondern die übrige Markenkommunikation im Web. Was Crispin Porter + Bogusky hier vorhaben, darüber gibt der TV-Spot noch keinen Aufschluss.
Der Spot bewirbt Nike+, die geniale Kombination aus Laufschuh und iPod, die dieses Jahr in Cannes völlig zu Recht mit einem Cyber Lion ausgezeichnet wurde.

Konsumenten haben die Kontrolle übernommen

Vor zwanzig Jahren traten die großen Werbeagenturholdings an, einen zersplitterten Markt zu konsolidieren und großen, weltweit agierenden Unternehmen Werbe- und Kommunikationsdienstleistungen aus einer Hand anzubieten. Dieses Modell war und ist äußerst erfolgreich. Heute haben Omnicom, WPP & Co. riesige Agenturnetzwerke unter ihren Fittichen und bewegen enorme Summen an Werbegeldern.
Jetzt geht eine neue Generation an den Start. Ihr Vorbild ist aQuantive, die im Mai für 6 Mrd. US-Dollar an Microsoft verkaufte Digitalmarketingholding, zu der in Deutschland u.a. die Agentur Neue Digitale gehört. aQuantive, AKQA und iCrossing sind dabei, allerlei digitale Marketingdienstleistungen unter ihren Dächern zu versammeln, berichtet Adweek.

Both companies and their backers have a similar view of the future: a one-stop shop offering a variety of ways clients can reach customers through digital channels that will allow them to fine-tune their messages and determine what works and what doesn’t.

For AKQA, that means working from its roots as a Web design shop while building its capabilities in media, search marketing and analytics. Three months ago, it made the first of what it expects will be a series of acquisitions, buying SearchRev, a Silicon Valley company that makes software to help marketers develop search advertising strategies. It is currently in the market for companies specializing in dynamically optimizing Web sites to improve performance and reporting marketing effectiveness, said Tom Bedecarré, AKQA’s CEO.

„We want to be able to do more for our clients and prove more integrated digital offerings,“ he said. „It’s not that different from what the holding companies did 20 years ago. We think life has gotten very complicated for clients on the digital side.“

Daniel Bonner, Executive Creative Director von AKQA London, gab in der vorigen Ausgabe der w&v seine profilierte Ansicht zur Zukunft der Werbung zu Protokoll:

Jedenfalls bewegen wir uns weg von der Unterbrecher-Werbung, hin zu einem Dialog zwischen Konsument und Marke. Idealerweise auf der Basis, dass sich beide Seiten kennen. Der Vorteil des digitalen Mediums liegt darin, dass Konsumenten den Dialog starten und beenden können, wann immer sie wollen. Ganz im Gegensatz zur traditionellen Werbung, die uns laufend unaufgefordert anschreit und deshalb weitgehend wirkungslos ist.

Ich rate, einen nie aus dem Auge zu verlieren: den Konsumenten. Der erwartet von Kommunikation und Marken, dass sie ihn herausfordern, ihn unterhalten, in ihm etwas auslösen. Um das zu erreichen, bieten neue Medien heute mehr Möglichkeiten als früher. Die Konsumenten haben die Kontrolle übernommen. Wenn wir gut sind, können wir sie dafür gewinnen, dass sie für uns werben: mit viralen Kampagnen. Allein der Konsument entscheidet, was gut ist und was schlecht. Dennoch sitzt er nie mit am Konferenztisch. Dort muss es deshalb eine Stimme geben, die ihn vertritt.

Hervorhebungen von mir.

Am Ende der bekannten Werbewelt

Am Mittwoch vor zwei Wochen saßen unser Beratungschef Laurent Burdin und meine Wenigkeit im schicken Konferenzraum von Draftfcb an der Außenalster mit deren Chef Peter John Mahrenholz und den beiden w&v-Redakteuren Peter Hammer und Ulrike Schäfer. Das Münchner Werbefachblatt hatte Laurent und Peter John zum Disput geladen über die Zukunft der Werbung.
Einen Tag zuvor hatte die w&v in ihrer Onlineausgabe über eine Studie von Booz, Allen, Hamilton berichtet, der zufolge Kaufentscheidungen immer weniger von klassischer Werbung beeinflusst werden:

Nur noch zu fünf Prozent beeinflusst Werbung im Fernsehen oder in den Printmedien, ob wir ein Produkt oder eine Dienstleistung kaufen oder nicht. Im Vergleich dazu legt das Internet als Einflussgeber zu: Zehn Prozent lassen sich durch das Web leiten. Das bedeutet, dass nach dieser Studie, das Web doppelt soviel Einfluss hätte wie Print- und TV-Werbung.

Dementsprechend vertrat Laurent im Streitgespräch die These, dass die klassische Werbung immer mehr an Relevanz verliert. Der Grund: Die Konsumenten wollen nicht ungefragt unterbrochen werden. Sie verbannen unerwünschte Werbung aus ihrem Alltag.
Gleichzeitig sind Markennamen die häufigsten Suchbegriffe im Netz. Der interaktive Konsument versteckt sich also vor der Markenkommunikation in den klassischen Medien und sucht gleichzeitig den Kontakt zur Marke im Netz. Die Konsumenten haben sich für das Internet entschieden.
Diese Entscheidung bleibt nicht ohne Konsequenzen für die Werbung. Mittelfristig wird sich daher auch die Rolle der Interaktivagenturen verändern – zu Lasten der klassischen Agenturen, von denen viele mit dem Siegeszug der TV-Werbung groß und stark geworden sind.
Die Debatte mit Mahrenholz war spannend und interessant. Sie ist heute wird demnächst in Heft 47/07 der w&v nachzulesen sein. Der Draftfcb-Chef argumentierte aus der Logik einer Netzwerkagentur, die auf die Herausforderung durch das Netz vollkommen anders reagiert: Sie legt ihre Ressourcen zusammen. Und damit auch die Etats ihrer Kunden.
Draftfcb will alle Kanäle gleichermaßen gut bedienen und kreative Ideen über unterschiedliche Kanäle spielen. Statt Spezialagenturen für unterschiedliche Medien zu beschäftigen sollen werbende Unternehmen mit einer Agentur (lies: Draftfcb) auskommen.
Das Problem ist nur: Es gibt keine medienneutralen Ideen. Jede kreative Idee ist an ein Medium gebunden. Ein TV-Spot ist keine Printanzeige ist keine Onlinekampagne und lässt sich nicht 1:1 übertragen. Und der Konsument will auch gar nicht über unzählige Kanäle mit Werbung beschossen werden.
Zu den Schwierigkeiten in einem solchen Streitgespräch gehören die unterschiedlichen Ebenen, auf denen wir uns bewegen. Draftfcb macht Werbung. SinnerSchrader ist eine Interaktivagentur. Wir machen auch Onlinewerbung, aber das ist nur ein Teil unseres Geschäfts.
Ich habe den Konferenzraum verlassen mit der Überzeugung, dass die klassische Werbung ihrem schleichenden Bedeutungsverlust wenig entgegenzusetzen hat. Sie wird weiterhin existieren, aber mit stagnierenden Budgets auskommen müssen und ihre Führungsrolle einbüßen. It’s The End of Advertising as We Know It.
Die Grabgesänge sind vielleicht verfrüht, aber die Trends sind auf unserer Seite: Die Reichweite des Mediums Internet wächst, die Nutzungsdauer nimmt zu, die Umsätze mit Onlinewerbung und E-Commerce steigen. Und damit auch der Anteil am Werbekuchen und am Handelsumsatz. Das alles nicht erst seit gestern, sondern stabil seit der zweiten Hälfte der neunziger Jahre.
Das Medium Internet ist etabliert. Jetzt ist die Frage, wie die Agentur für dieses Medium aufgestellt sein muss. Unsere Antwort: Der Konsument ist interaktiv, also muss es auch die Agentur sein.

Auf Kosten der klassischen Agenturen

Es kommt derzeit wirklich knüppeldick für die klassischen Werbeagenturen. Marketingentscheider sehen deren Zukunft skeptisch, berichtet Horizont über die Ergebnisse einer internationalen Untersuchung der Unternehmensberatung Accenture. Für diese Untersuchtung wurden weltweit Experten aus Unternehmen, Medien, Agenturen und Technologie-Firmen befragt, welche Konsequenzen sie vom Übergang in die digitale Kommunikationswelt erwarten.

Danach sehen 77 Prozent die Zukunft der Werbung auf den Bildschirmen von TV, Computer und Mobiltelefon. 43 Prozent der Manager sind der Überzeugung, dass Agenturen in diesem Prozess am meisten zu verlieren haben. Jeder Dritte sieht die TV-Sender auf der Verliererseite. Als Gewinner der Entwicklung benennen 46 Prozent die Online-Marktforschungsunternehmen.

Schlechte Nachrichten aber auch für die Interaktivagenturen:

Lediglich 19 Prozent sind der Meinung, dass Internet-Spezialagenturen am meisten erwarten können. Offensichtlich sehen die wenigsten Entscheider Agenturen ausreichend fit für die kommende Entwicklung. Lediglich 29 Prozent der Befragten halten die Kommunikationswirtschaft in technologischer und kultureller Hinsicht ausreichend gewappnet für die kommenden „radikalen Veränderungsprozesse“.

Mediabudgets auf dem Weg ins Internet

In den USA zeichnet sich eine massive Umschichtung der Mediabudgets von den klassischen Medien in Richtung Internet ab. Diese Einschätzung gab diese Woche kein Geringerer als der CEO von Universal McCann Nick Brien zu Protokoll. 50 bis 60 Prozent der Budgets könnten demnach schon in den nächsten Jahren ins Internet wandern.
Ist Ähnliches auch in Deutschland zu erwarten? Das Fachblatt iBusiness hat nach der hiesigen Stimmung gefragt. Hier die Antwort von Laurent Burdin, Geschäftsführer Beratung von SinnerSchrader:

Diese Entwicklung bemerken wir auch in Deutschland, jedoch mit einer zeitlichen Verschiebung. Amerika ist uns zwei bis drei Jahre voraus.

Aber der Trend bleibt gleich: Markenartikler interessieren sich immer mehr für das Internet. Es gibt dafür einen einfachen Grund: Ihre Konsumenten haben das Internet als Kanal Nr. 1 gewählt. Sie kaufen dort mehr und mehr.

Und vor allem entwickeln sie eine neue Konsumkultur der Interaktion mit Marken und übernehmen selbst die Kontrolle. Gute Markenartikler erkennen das und werden es immer stärker nutzen.

iBusiness hat übrigens auch die großen klassischen Werbeagenturen nach ihrer Einschätzung befragt:

Nur ein Statement haben wir von keinem bekommen. Weder von Jung von Matt, BBDO Germany noch Springer & Jacoby. Nicht einmal die Vertröstungen waren kreativ: BBDO hat „kurzfristig leider keinen der Ansprechpartner in der Gruppe für ein Statement erreichen können“ und für JvM war „das Timing leider etwas zu eng“. Dialogmarketing und Kommunikation in Echtzeit sind wohl wirklich nicht die Stärke der klassischen Agenturen.

Neue Horizonte

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Ein netter Effekt, mit dem horizont.net seine Leser auf den heutigen Relaunch aufmerksam macht. Wenn auch nicht unerhört und nie dagewesen.
Das Blatt aus Frankfurt, unserem zweiten Agenturstandort übrigens, hat sich gedruckt wie digital gehäutet und die Aufgaben zwischen Druck und Web neu verteilt:

Die Zeiten, in denen professionelle Journalisten die alleinige Deutungshoheit über Markt- und Weltgeschehen hatten, sind vorbei. Genauso wie die Zeiten, in denen ein nachrichtenorientiertes Netzangebot bloß der digitale Appendix der Print-Mutter ist.

Agentur: BippesBrandão, Offenbach