Martin Recke

Co-Founder @nextconf, corporate editor @AccentureSong, PR guy, blogger, journalistic background, political scientist, theology, singer, father, landlord, roman-catholic.

Irgendwas mit Daten: Post-Privacy, Datenliebe und Kontrollverlust

Als wir im vergangenen Herbst, übrigens auf Anregung von Nico Lumma, über Daten (engl. Data) als Leitthema der NEXT11 nachdachten, da hatten wir nicht viel mehr als eine vage Ahnung. Der Sommer des Missvergnügens an Google Street View war gerade vorüber, das neue Buch von Jeff Jarvis mit dem schönen Titel Public Parts lag noch in weiter Ferne.
Wir sahen schon, dass das Thema Daten starke Emotionen zu wecken imstande ist. Doch „Daten“ allein wäre als Konferenzmotto vielleicht etwas schlicht gewesen, also spielten wir jede Menge Ergänzungen durch und verfielen am Ende auf „Data Love„, zu deutsch so etwas wie „Datenliebe“. Unser Ziel war, die negative Energie, wie sie an Debatten über die angebliche Datensammelwut von Facebook oder Google abzulesen war, ins positive zu wenden. Oder wenigstens einen positiven Aspekt hinzuzufügen.
Wir generieren heute alle zwei Tage soviele Daten wie die gesamte Zivilisation seit ihrem Entstehen bis zum Jahr 2003 (Eric Schmidt). In dieser Situation versagen alle überlieferten Mechanismen des Datenschutzes wie der informationellen Selbstbestimmung. Im Zeitalter einer nie zuvor gekannten Explosion der allgemeinen Datenproduktion muss das Verhältnis von Privatsphäre und Öffentlichkeit neu definiert werden.
In der Zwischenzeit gewinnt das Thema erfreulicherweise an Schwung. Von der datenschutzkritischen Spackeria war hier bereits die Rede. Michael Seemann aka mspro hat dieses Phänomen nun auf seinem dem Kontrollverlust gewidmeten Blog CTRL-Verlust in den größeren Zusammenhang eingeordnet:

Die Spackeria ist eher noch ein datenschutzkritisches Blog, als ein theorielastiges Post-Privacy-Blog. Und als solches, wie ich finde, ein noch viel wertvollerer Beitrag zur Debatte. In letzter Zeit – vor allem bei und seit der Debatte um Google Street View – rückt immer mehr in den Blickpunkt, dass der Datenschutz im Angesicht des Kontrollverlust nicht nur versagt, sondern dass er in diesem Versagen teilweise reaktionäre, die Freiheit des Netzes gefährdende Züge annehmen kann und teilweise schon annimmt.

Der niedersächsische Datenschützer will Werbung auf Webseiten aus Datenschutzgründen verunmöglichen, aus der EU droht eine Richtline die das verwenden von Cookies so gut wie unbrauchbar machen könnte, das “digitale Radiergummi” und der Wunsch nach Vergessen des Internets bedroht die Informationsfreiheit und die Hysterie um Apple, Google und Facebook die “unsere Daten klauen wollen“, greift irrational in dem Medien um sich. Wie ich bereits feststellte, droht der Datenschutz sich gerade vollends lächerlich zu machen und bedroht ohne Frage so langsam das Internet und vor allem sich selbst. Dabei brauchen wir ihn immer noch dringend bei Fragen zur Vorratsdatenspeicherung und dem Schutz des Individuums vor staatlicher Repression.

Am Wegesrand tauchte in den letzten Tagen auch das Projekt Datalove auf, dessen Prinzipien wir bereits auf dem Konferenzblog hatten. Noch einmal Michael Seemann:

Es ist eine Sammlung von Werten die eine neue Haltung gegenüber Daten ausdrückt: “Data is essential“, “Data must flow“, “Data must be used“, “Data is neither good nor bad“, “There is no illegal data“, “Data is free“, “Data can not be owned“, “No man, machine or system shall interrupt the flow of data“, “Locking data is a crime against datanity“. Ich lese es als ein Versuch eine Gegenideologie zum Datenschutz zu entwerfen: Datenliebe statt puritanischer Datensparsamkeit. (Ich hatte es ja mal mit dem Begriff “Datengroßzügigkeit” versucht). Jedenfalls eine schöne Idee, die sich gut mit der Ethik des radikalen Rechts des Anderen verträgt, so als Haltung. Datenliebe und Datengroßzügigkeit als neue, propagierte Werte, passen besser zu der kommenden digitalen Gesellschaft, vor allem wenn sie sich freiheitlich begreifen will.

Stephan Urbach von Datalove hat dieser Interpretation indes noch etwas hinzuzufügen.

Wer braucht schon digitale Privatsphäre?

Wir steuern auf einen neuen Generationenkonflikt zu, und es ist eine neue Variante des Konflikts zwischen digitalen Eingeborenen und Einwanderern. Diesmal geht es um die Privatsphäre und ob es sie im digitalen Zeitalter überhaupt noch geben kann.
Nein, meint eine neue Gruppe, die sich datenschutzkritische Spackeria nennt. In einem Interview mit dem Spiegel, der die Spackeria grob als „Internet-Exhibitionisten“ tituliert, sagt die 25-jährige Julia Schramm Sätze wie diesen:

Meine Daten können mir nicht mehr gehören. Wir haben längst die Kontrolle darüber verloren. Ob wir es nun gut finden oder nicht: Privatsphäre ist sowas von Eighties. (lacht)

Mich deuchte ja schon länger, spätestens eigentlich seit dem Auftritt von Peter Schaar auf der re:publica, dass Datenschutz sowas von Eighties ist. Privatsphäre jedoch hielt ich bislang für durchaus wünschenswert. Aber das mag am Alter liegen, schließlich bin ich digitaler Immigrant, dessen Aufenthaltserlaubnis für das Internet seit 1994 immer nur jährlich verlängert wird.
Julia Schramm gehört der gleichen Generation an wie Mark Zuckerberg. Und so wie Zuckerberg mit Facebook die praktischen Grundlagen des sozialen Miteinanders im digitalen Raum neu definiert, so definiert Schramm die theoretischen Grundlagen um.
Vieles spricht tatsächlich für den radikalen Abschied von der Privatsphäre. Allerdings, so merkt Johan Staël von Holstein nicht ganz zu Unrecht an, ist das auch eine Frage des Alters. Wer erst einmal Kinder hat und es zu einem gewissen Wohlstand gebracht hat, der legt womöglich mehr Wert darauf, seine sensiblen Daten zu schützen, als ein College-Student.
Johan Staël von Holstein arbeitet an einem Facebook-Herausforderer namens MyCube. Er will damit den Nutzern die Kontrolle über ihre Daten zurückgeben, also das schaffen, was Julia Schramm für unmöglich hält. Auf der NEXT11 im Mai wird er sprechen. Tickets gibt es hier.

Stephan Noller, die Liebe zu Daten und der digitale Mob

Wir leben in einem seltsamen Land. In diesem Land kann sich die Öffentlichkeit tagelang an der Dissertation eines Ministers abarbeiten, können belastende Daten über Plagiatsvorwürfe in einem öffentlich zugänglichen Wiki gesammelt und ausgewertet werden.
In diesem Land können kleine Volksaufstände gegen die sogenannte Datensammelwut von Unternehmen wie Google und Dienste wie Street View enstehen – und das gleiche Volk nachher zu den intensivsten Nutzern des Straßenbilderdienstes gehören. In diesem Land können Konsumenten mit Begeisterung jede Menge werbefinanzierte Dienste nutzen und gleichzeitig gegen Werbung sein.
Ist das nicht schizophren?
Stephan Noller hat sich jüngst in der Zeit zu seiner, ich möchte fast sagen, Liebe zu Daten bekannt.

Ich finde die aktuelle Debatte über Datenmissbrauch im Internet ärgerlich. Nicht nur, weil ich Teil dieser Industrie bin. Sondern vor allem, weil darin eine gewisse Technologiefeindlichkeit und auch Ignoranz mitschwingt. Es wird der Eindruck einer im halblegalen Bereich operierenden, auf kurzfristige Gewinne ausgerichteten Industrie erweckt, die nur so viele Bedenken kennt, wie Rechtsanwälte und Verbraucherschützer ihr jeweils abtrotzen können.

Technologiefeindlich ist die Sichtweise, weil Tracking sehr nah am Kern dessen operiert, was das Internet so faszinierend und nützlich macht und es bereits jetzt zu einem der stärksten Wachstumsfaktoren in mehreren Wirtschaftsbereichen hat werden lassen. Ignorant ist die Haltung, weil das Internet uns eine völlig neue Welt eröffnet.

Wie um Stephan Nollers Diagnose zu bestätigen, schlägt sich in den Kommentarspalten unter seinem Artikel der digitale Mob nieder, der Werbung im Allgemeinen und Targeting im Besonderen zwar für Teufelszeug hält, aber selbstverständlich nicht auf allerlei dadurch finanzierte digitale Annehmlichkeiten verzichten will. Diese Debatte wird in Deutschland leider auf einem nachgerade unterirdischen Niveau geführt. Ein wenig Dave Winer könnte nicht schaden:

Advertising will get more and more targeted until it disappears, because perfectly targeted advertising is just information. And that’s good!

Mehr Magento bei SinnerSchrader

Seit ein paar Tagen hat SinnerSchrader einen Standort in Hannover. Dort sitzen 25 E-Commerce-Experten, die bis vor kurzem noch als Visions new media unterwegs waren. Am vergangenen Dienstag haben wir die Übernahme der Mitarbeiter und des Geschäfts von Visions annonciert.
Alexander Ringsdorff hatte Visions vor rund zehn Jahren gegründet und zu einem der führenden Magento-Spezialisten ausgebaut. Das schnelle Wachstum brachte das Unternehmen im vergangenen Jahr in Finanzierungsschwierigkeiten, die bis zum Insolvenzantrag führten.
In der SinnerSchrader-Gruppe werden die neuen Kollegen nun Teil von next commerce, das sich wie Visions new media auf E-Commerce-Outsourcing spezialisiert hat. Geschäftsführer ist Moritz Koch, der next commerce seit der Gründung 2009 führt.
Im Markt ist die Übernahme erfreulich positiv aufgenommen worden. So hat Jochen Krisch bei Exciting Commerce der Transaktion seinen Segen erteilt:

Visions war einer der Treiber für Magento in Deutschland, kam allerdings durch das schnelle Wachstum in Zahlungsschwierigkeiten. Da Magento-Entwickler derzeit ebenso selten wie begehrt sind, war die Zahl der Übernahme-Interessenten entsprechend groß.

Und die Analystin von Warburg Research kommt in ihrer jüngsten Analyse zu dieser Einschätzung:

Mit dieser Akquisition untermauert SinnerSchrader die Wachstumsstrategie als
leistungsstarker Anbieter von Online-Marketing durch organisches Wachstum und
über Akquisitionen. Dies ist die zweite Übernahme innerhalb von 6 Wochen und wir
rechnen mit mehr, wenn sich gute Möglichkeiten ergeben sollten. Mit flüssigen
Mitteln in Höhe von EUR 10 Mio. und einem erfahrenen Projektmanagement kann
SinnerSchrader einen umfangreichen und profitablen Wachstumspfad in einem
dynamischen Markt mit zweistelligen Zuwachsraten pro Jahr verfolgen.

True Data Love: KLM Surprise


Die königliche Fluglinie der Niederlande hat mit einer kleinen Social-Media-Kampagne ihre netzaffinen Kunden überrascht. Die Mechanik war einfach und beruhte auf Foursquare: Wer bei Foursquare eincheckt, so die Annahme, der hat auch ein Profil bei Facebook, Twitter oder LinkedIn.
Daraus lassen sich öffentlich zugängliche Informationen über den Fluggast und den Grund seiner Reise gewinnen. Das Social-Media-Team überraschte die KLM-Passagiere dann mit einem kleinen, persönlichen Geschenk. Das Ganze war dann auf Facebook zu sehen.
Aus den Kommentaren bei YouTube lässt sich auch gleich das Risiko einer solchen Kampagne ersehen: Auch unzufriedene Passagiere melden sich zu Wort. Ein persönliches Geschenk tröstet nicht über Unzulänglichkeiten bei der eigentlichen Dienstleistung hinweg.
Auf jeden Fall aber ist die Kampagne ein schöner Fall von Data Love. So lautet das Motto der NEXT11. KLM zeigt hier beispielthaft, wie aus dem stetig wachsenden Datenstrom neue Anwendungen mit Mehrwert für den Konsumenten entwickelt werden können.
[Hat tip to @pr_ip]