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2010: Werbung ist tot. Kreation lebt.

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In den letzten zwölf Monaten hat sich die Welt der Werbung mehr verändert als in den zwölf Jahren zuvor. Die Weltwirtschaftkrise war 2009 allerdings lediglich der Katalysator für eine Entwicklung, die seit einem Jahrzehnt an Dynamik gewinnt – das Internet verändert das Konsumentenverhalten radikal. Beide Entwicklungen bildeten 2009 einen perfekten Sturm, der neue Spielregeln für die Marketingwelt und die Agenturen diktierte.
Das Wichtigste zuerst: Kreation ist und bleibt das Kernprodukt jeder Agentur. Allerdings verändert sich das Spielfeld für die Kreation fundamental. In der alten Welt der Unterbrecherwerbung – ob als Plakat, 2/1-Anzeige, Radio- oder TV-Spot – lag der Fokus der Kreation auf dem Storytelling. Wie erzähle ich meine Botschaft möglichst charmant und effizient? Die Metapher: das trojanische Pferd. Heute funktionieren die gelernten Kampagnenmechaniken immer seltener, die Konsumenten suchen über das Internet die direkte Beziehung zur Marke. Lean forward statt lean back: Wenn der Konsument sich vor dem TV-Schirm zurücklehnt, akzeptiert er keine unaufgeforderte Markenkommunikation mehr. Will er was von den Marken, lehnt er sich vor und bestimmt den nächsten Klick wo, wann und wie er es wünscht.
In der Tat stellen sich immer mehr Unternehmen auf dieses neue Konsumentenverhalten ein. Sie öffnen sich, schleifen die Silos zwischen Produktentwicklung, Marketing, Vertrieb, Kundenservice – und verlangen von ihren Kreativpartnern auf Agenturseite mehr als Kampagnen. Nicht wenige Marketingentscheider entwickeln sogar eine zunehmende Aversion dagegen, durch ihre Kommunikationsmaßnahmen Medienunternehmen am Leben zu erhalten, wo es ihnen doch darum geht, Beziehungen zum Konsumenten aufzubauen.
So wie sich die Konsumenten und die Unternehmen wandeln, verändert sich auch die Agenturarbeit massiv. Die wichtigste Agenturleistung ist immer seltener die Kampagne, sondern vielmehr die Kreation von Plattformen, die Konsumenten langfristig an die Marke binden. Das ist ein ungeheurer Bruch: Statt zyklischer Kampagnen gilt es Plattformen zu entwickeln, die Magnetwirkung für die Nutzer besitzen. Plattformen aus Software!
Ist diese Erkenntnis verdaut, liegt in diesem Wandel eine riesige Chance für die Agenturen: Je mehr Produkt, Kundenservice und Internet verschmelzen, desto wichtiger wird es, Marketinginnovationen als erfolgskritischen Bestandteil in die Produktentwicklung zu integrieren. Kreative werden künftig weniger visuelles Design und Text, dafür aber mehr Produktdesign betreiben und Serviceprozesse gestalten. Die Unternehmen suchen kreativen Input, um ihre Produkte mit digitalen Zusatzleistungen aufzuladen, die sie im Markt differenzieren und im Alltag der Konsumenten relevanter machen.
Der Konsumentenalltag selbst wird auch 2010 durch eine weitere dramatische Zunahme digitaler Interaktionen geprägt sein. Im Web ist der Treiber der neue Standard HTML5, der das Nutzererlebnis schneller und komfortabler macht. Vor allem sind es aber die boomenden Smartphones (und wohl auch Tablets), welche den Konsumenten jederzeit und überall Zugriff auf Informationen und Services geben. Nach dem Web und dem Point of Sale wird Mobile zum drittwichtigsten Touchpoint zwischen Marke und Mensch. Die relevantesten Apps werden nicht hastig entwickelte Gimmicks sein, sondern Applikationen, die auf den bestehenden Marketing- und E-Commerce-Plattformen der Marken aufsetzen und diese mit anlass- und ortsbezogenen Zusatzservices erweitern.
In dieser neuen Marketingwelt brauchen Agenturen auch ein neues Agenturmodell. Um Produkt- und Service-Innovationen auf Augenhöhe gemeinsam mit den Marken entwickeln zu können, benötigen sie massive technologische Kompetenzen. Erfolgreiche Interaktivagenturen wie R/GA (jüngst erst von AdAge zur Agentur des Jahrzehnts gekürt), AKQA oder eben auch SinnerSchrader haben einen Entwickleranteil von 30 bis 50 Prozent. In diesen Agenturen arbeiten Kreative und Softwaredesigner in gemeinsamen Teams zusammen, um innovative Plattformen mit hoher Konsumentenrelevanz zu kreieren. Gelingt der Brückenschlag zwischen Kreation und Technik, überwinden Agenturen die Umsetzungsrolle – und sind kreativer Businesspartner ihrer Kunden.
Das sind tolle Aussichten für 2010!
Vorwort von Matthias Schrader zum Jahrbuch Hamburgs Kreative, das soeben erschienen ist. Foto: Olaf Ballnus