Wäre das ein Krieg, dann könnte man sagen, Frank Schirrmacher feuert aus allen Rohren. Zuerst brachte er sein Buch mit dem kryptischen Titel Payback (dazu später mehr an dieser Stelle) in Stellung, nun folgt im FAZ-Feuilleton ein wahres Trommelfeuer aus Beiträgen, die alle mehr oder weniger ins gleiche Horn stoßen. Jüngstes Exemplar ist ein großes Interview („Der digitale Maoismus ist zu Ende“) mit dem Informatiker, Künstler und Autor Jaron Lanier in der Samstagsausgabe der FAZ, gefolgt von einem Essay („Warum die Zukunft uns noch braucht“).
Wäre alles normal, dann würde sich das Netz über diesen Erweis gesellschaftlicher Relevanz freuen, auf die Provokation reagieren und sich an der entstehenden Debatte beteiligen. Doch nichts dergleichen. Die Reaktion schwankt zwischen Teilnahmslosigkeit und ritueller Abwehr. Von Diskussion kaum eine Spur. Wie konnte es dazu kommen?
Kann es sein, dass wir es mit kollektiven Denkverboten zu tun haben? Dass sich die Netzkultur von der sonstigen Kultur abgekoppelt hat? Dass der Gesprächsfaden längst gerissen ist? Und dass es jetzt um Abgrenzung geht der Initiierten von den Unerleuchteten? Jaron Lanier sah bereits 2006 eine neue Religion am Werke:
Diese Leute glauben an etwas Ewiges, Unsterbliches. Sie haben ihre Rituale, ihre drolligen Überzeugungen, ihre Heiligen. Solange dieses Menschenbild zu einer kleinen Subkultur gehört, mag sich das niedlich anhören. Aber es ist ernst. Computer haben mit jedem Jahr mehr Einfluss darauf, wie wir miteinander in Kontakt treten und wie wir unser Leben denken. Und mit den Computern werden auch die Ideen der Freaks immer mehr Teil des kulturellen Mainstreams. Und diese Ideen als Mehrheitskultur? Das wird eine grausame Welt!
In seinem FAZ-Essay führt Lanier diesen Gedanken weiter aus:
Wenn Sie aber von der alten Religion, in der man darauf hofft, dass Gott einem ein Leben nach dem Tod beschert, zu der neuen Religion, in der man darauf hofft, unsterblich zu werden, indem man in einen Computer hochgeladen wird, konvertieren wollen, dann müssen Sie daran glauben, dass Information etwas Reales und Lebendiges ist. Es wird dann wichtig für Sie, menschliche Einrichtungen wie Kunst, Wirtschaft und Recht so umzugestalten, dass sie die Auffassung, Information sei lebendig, stützen. Sie verlangen dabei, dass der Rest von uns gemäß Ihrer neu konzipierten Staatsreligion lebt. Sie werden dann darauf angewiesen sein, dass wir die Information vergöttern, um Ihren Glauben zu stärken.
Lanier macht sich zum Renegaten, wird als solcher von Schirrmachers FAZ positioniert – und im Netz weitgehend ignoriert oder ohne Diskussion direkt abgelehnt. Was seine Thesen eher bestätigt, denn keine Religion liebt ihre Apostaten.
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