Ist ein ganzheitlich integrierter Facebook-Shop mit kompletter Verkaufsfunktion das digitale Ei des Kolumbus oder doch das Weiterleitungsmodell auf den eigenen Webshop?
Die Zeiten, in denen Social-Media als Nischenphänomen tituliert wurde, sind längst Geschichte. Aktuell sind 76 % der deutschen Internet-Nutzer in einem sozialen Netzwerk registriert, und gut 90 % von ihnen gehören der werberelevanten Zielgruppe der 14- bis 49-Jährigen an*. Diese Zahlen belegen, dass Facebook & Co. absolut massenfähige Relevanz haben.
Heute haben viele Unternehmen erkannt, dass die sozialen Netzwerke einen nicht ausklammerbaren Kommunikationskanal darstellen, da sie von einer breiten Masse aktiv genutzt werden. Dass auch das Kaufverhalten von sozialen Elementen geprägt ist, zeigen zahlreiche etablierte Social-Shopping-Konzepte wie DaWanda oder Groupon ebenso wie Kundenbewertungen á la HolidayCheck oder Ciao. Social-Commerce hat sich längst als werthaltige Bereicherung etabliert. Doch wie könnte die Konsequenz aussehen? Wie lässt sich dieses Potential am besten nutzen?
Zunächst stellt sich die Frage nach der Wahl des optimalen Social-Media-Kanals, um mit den Vertriebsaktivitäten zu beginnen bzw. sie zu erweitern. Da gab es Plattformen wie die VZs, Myspace oder Second Life… Alles Projekte die mit großem Enthusiasmus starteten und zeitweise stattliche Nutzerzahlen erreichten – meist aber nur für einen überschaubaren Zeitraum. Glück hatten jene Marketeers und Shop-Betreiber, die in diesen Umfeldern ihre Spendings durch die Erhöhung der Brand-Experience bzw. Brand-Loyality wieder einspielen konnten. Bei vielen stellt sich jedoch die Frage, ob der ROI aus diesen Investitionen erreicht wurde.
Aufgrund der heute vorliegenden Erfahrungswerte halten sich viele Shop-Betreiber bei ihren Social-Commerce-Aktivitäten lieber an den aktuellen Reichweiten-Primus Facebook. Da bei E-Commerce-getriebenen Marken und Anbietern die Monetarisierung ihrer Social-Media-Aktivitäten im Vordergrund steht, ist der Schritt von der Fanpage zum Facebook-Shop naheliegend. Doch damit tut sich bereits die nächste Frage auf: Ist ein ganzheitlich integrierter Facebook-Shop mit kompletter Verkaufsfunktion das digitale Ei des Kolumbus oder doch das Weiterleitungsmodell auf den eigenen Webshop?
Aus meiner Sicht gibt es darauf eine klare Antwort: Der Umsatz sollte bei Ihnen zu Hause im eigenen Shop erfolgen. Dies berücksichtigt dennoch den Umstand, dass Käufe auf unterschiedlichsten Plattformen und Kanälen initiiert werden sollten, denn die dortige Frequenz kann kostengünstig, effizient und reichweitenstark abgeholt werden – der idealtypische Prozess eines effizienten E-Commerce-Modells. Das eigene Ökosystem, in dem der Betreiber die volle Hoheit über Funktionen und Rahmenbedingungen hat, ist jedoch die beste Umgebung für die optimale Kundenbetreuung.
Weitere Argumente: Usability, Kundenbindungselemente und das Zusammenspiel einzelner Tools wie Analytics, Retargeting und E-Mail-Marketing, sind in vollem Funktionsumfang nur auf der eigenen Plattform zu gewährleisten. Und nur hier kann der Kunde durch eine größere Sortimentstiefe bzw. -breite geführt werden, wodurch sich größere, profitablere Warenkörbe generieren lassen.
Es gilt also eine Verknüpfung von Social-Media-Kanälen bzw. -Elementen mit der eigenen Shop-Plattform anzustreben und damit die Leadqualität und persönliche Weiterempfehlung der sozialen Netzwerke zu nutzen. Durch die Anbindung und Nutzung externer sozialer Mehrwerte gewinnt der eigene Shop an Attraktivität und Frequenz, was sich letztlich in der Conversion widerspiegelt.
Diese Symbiose ermöglicht eine optimale Customer-Journey und das oft zu reduzierten Produktionskosten, da bestehende Funktionen der Social-Plattformen effizient eingebunden werden können und nicht selbst entwickelt werden müssen.
Im Idealfall wird also das Beste aus beiden Welten kombiniert. Leider fehlt bis dato meist die Überzeugung, um ein solches Konzept mit aller Konsequenz zu realisieren. Ein positives Beispiel einer solchen Social-Shopping-Umsetzung, wenn auch nicht mehr ganz frisch, ist der Friends-Store von Levis.
Oliver Elbert ist Vorstand Marketing & Vertrieb der Online-Agentur spot-media, die zur SinnerSchrader-Gruppe gehört.
Oktober 2011
Warum das Siri Business-Modell Android röstet – und auch für Apple eine riskante Wette ist
Die letzten zwei Tage, habe ich mir die Frage gestellt, warum Siri für das iPhone 4S limitiert ist. Auf den ersten Blick scheint es Willkür zu sein. An den Hardware-Voraussetzungen kann es nicht liegen: das iPad 2 hat alles, was das neue iPhone ausmacht. Eine mögliche Erklärung: Apple will die für Siri notwendige Serverfarm mit der schrittweisen Markteinführung der Devices kontrolliert hochfahren.
Meine Vermutung ist allerdings eine andere: es sind die Kosten.
Wie ich bereits vor einigen Tagen beschrieben habe, ist der Kern von Siri keinesfalls die (erstaunlich gut funktionierende) Spracherkennung. Der Clou ist die dahinter liegende AI-Maschine. Bei jeder Frage an Siri findet im Hintergrund eine Kommunikation zwischen dem iPhone 4S und Apples zentraler Cloud statt.
Was kostet nun ein Siri-Dialog? Das weiss natürlich niemand außer Apple. Ich halte es aber für fair anzunehmen, dass ein Siri-Dialog ungefähr in der Kostenregion einer Google-Abfrage liegt. Hierfür gibt es einigermaßen plausible Schätzungen, welche die Kosten bei rund 1 ct sehen. Gegenprobe: Unternehmen, die Google als Onsite-Service nutzen wollen, zahlen 2 ct.
Ich halte also die Kosten von 1 ct für eine Siri-Anfrage eher für eine untere Schranke (vor allem wenn man bedenkt, dass Google 10 Jahre darin geübt ist, seine zentralen Data Center kostenseitig zu optimieren).
Und jetzt wird’s spannend. Wie viele Siri-Dialoge macht ein durchschnittlicher iPhone-Nutzer? Das wüsste Apple wohl auch gerne. Eine Modellrechnung: bei 10 Dialogen täglich ergeben sich 3.650 Dialoge im Jahr. Multipliziert mit 1ct macht das einen Kostenblock von $36 per anno. Bei einer Marge von 70% für das aktuelle iPhone über eine Nutzungsperiode von 3 Jahren kann das Apple locker wegstecken.
Und das ist ein Problem für Google und sein Android Eco-System. Google refinanziert Android mit seinen Mobile-Search-Einnahmen. Die belaufen sich aktuell bei rund $10 pro Jahr und Device. Weitere Erträge durch Lizenzen oder Hardware gibt es (bislang) nicht. Das ist am Ende durch die schiere Anzahl der Android-Devices eine Menge Geld – reicht aber bei Weitem nicht, einen Cloud-basierten Assistenz-Dienst wie Siri wirtschaftlich zu betreiben. Würde Google einen Siri-Clone starten, würde Google das mehr als $20 pro Endgerät und Jahr an Verlust einbringen und gleichzeitig verlieren sie textbasierten Adword-Umsatz. Auch hier macht’s wieder die Menge – nur mit umgekehrten Vorzeichen.
Wenn die Konsumenten Siri lieben werden, schafft es neben einem extrem starken Lock-in auch ein großes Problem für das Mobile-Geschäft von Google. Ein Cloud-basierter Assistenz-Dienst ist heute ohne die gigantische Hardware-Margen nicht finanzierbar. Und welcher Anbieter besitzt diese heute außer Apple?
Einen zu großen Erfolg für Siri kann Apple sich paradoxerweise aber auch nicht leisten. So lange die Serverkosten nicht wesentlich unter 1ct/Dialog sinken, würde Apple in arge Bedrängnis kommen, wenn statt 10 beispielsweise 100 Dialoge täglich zwischen iPhone und der Siri-Maschine stattfinden: die schönen Margen wären im Nu verzehrt. In diesem Fall müsste Apple sehr schnell beginnen, selbst ein eigenständiges Business-Modell für die Siri-Nutzung zu entwickeln.
Apples Siri und die Post-PC Welt
Disruptive Innovationen passieren nicht über Nacht. Ganz langsam schleichen sie sich in unser Leben, verändern unser Verhalten und erst in der Rückschau wird uns bewusst, dass sich unsere Welt verändert hat.
So war es mit dem PC, dem WWW, dem Smartphone. Das Ziel, die Post-PC Welt zu dominieren, könnte Apple mit dem iPhone 4S erreichen.
Wie das? Der Schlüssel hierfür, ist Siri. Der neue Service ist wesentlich mehr als eine Spracherkennung, hinter dem Projekt steckt harte AI und $150 Mio aus dem amerikanischen Verteidigungsetat. Siri „versteht“ nicht nur die Syntax, sondern die Semantik hinter den Worten. Apple spricht daher auch von einem „Personal Assistant“.
Der wesentliche Punkt ist aber, dass Siri lernt. In den Demos sieht man es sehr schön: „Schreibe Tom, dass ich unterwegs bin“, „Erinnere mich an den Zahnarzttermin, wenn ich im Büro bin“ oder „Ruf mir ein Taxi“. Dass funktioniert nur, wenn die AI-Engine mein persönliches Lebensumfeld mit der Zeit lernt. Und das passiert nicht auf dem Gerät selber, sondern in der zentralen iCloud. Ohne WLAN und 3G geht nichts. Die Konsequenzen lassen sich erst grob skizzieren:
- Siri wird auf allen meinen IOS-Devices laufen. Mein Persönlicher Assistent wird mich unterwegs kennen (via iPhone), auf dem Sofa (via Apple TV), im Bett (via iPad) und am Schreibtisch (mit der nächsten OS X Generation).
- Die Software ist Beta. Aber die Integration von Yelp und Wolframs Alpha zeigt, dass Siri immer mehr Services im Alltag aufsaugen wird. Apple wird mich besser kennen als Google und Facebook. Damit greift Cupertino die zentralen Werbeerlösmodelle der beiden an.
- Es ist der perfekte Lock-in. Wenn ich aus der Apple-Welt aussteige, verliere ich auch mein über Jahre personalisiertes AI-Modell, welches in den Rechenzentren von Apple mit meinem Account verbunden ist. Wer kündigt seiner langjährigen PA?
Steve Jobs
Werbeirrsinn beim Media Markt
Anfang des Jahres kündigte Media Markt seiner langjährigen Werbeagentur kempertrautmann. Für die Agentur offensichtlich überraschend per Pressemitteilung und mit einem Dank, der eher an einen Tritt in den Allerwertesten klang. Eins war jedoch klar, man wolle sich jetzt endlich der Herausforderung Internet stellen und suche eine Agentur, die das Netz verstehe.
Naja.
Seit dem Wochenende nun ist die neue Kampagne draußen. Und leider ist irgendetwas zwischen Kunde und Agentur grundlegend schief gegangen. Neben den vielen kleinen handwerklichen Mängeln, hat das Konzept folgende vier massiven Bugs:
1. Falscher Consumer Insight: Das Netz ist kein Jahrmarkt
Das Netz wird deshalb im Kaufentscheidungsprozess als Anlaufstelle Nr 1 vom Konsumenten genutzt, weil es Transparenz schafft und ordnet. Insbesondere die erfolgreichsten E-Commerce Destinationen wie Amazon schaffen dies seit Jahren extrem erfolgreich und gewinnen von Jahr zu Jahr massiv an Zuspruch. Kunden haben sich an Auswahl, Preistranspararenz, Produktinformationen, Verkaufsränge und Bewertungen gewöhnt und nutzen sie. Im Netz finden die rationalen Kaufentscheidungen statt, der Jahrmarkt findet immer noch auf und im Boulevard statt („Geiz ist geil“). Die Grundidee der gesamten Kampagne läuft daher ins Leere.
2. Falscher Claim
Erst einmal vom Wege abgekommen, kann man dann auch schon mal abheben. „Der neue Media Markt Preis ist der klarste Preis“. „Ohne Preis-Irrsinn“. Oder so ähnlich. Meine Güte! Wer soll das verstehen? Hier kämpft die Kommunikation Schattenboxen mit der Ramba-Zamba-Werbung der letzten Jahre. Die war wenigstens unterhaltsam. Die neue Ansage bleibt klar Dada.
3. Falsches Versprechen
Media Markt verspricht künftig den „klarsten“ Preis zu liefern, da täglich alle maßgeblichen Online-Wettbewerber geprüft werden und die Preise angepasst werden. Wie soll das gehen? Bis auf ein absolut reduziertes Angebotssortiment von vielleicht 100 Artikeln, ist es nicht möglich, tausende Artikel mehrmals auszuzeichnen — und schon gar nicht täglich. Das wird den Märkten und den lokalen Geschäftsführern täglich um die Ohren fliegen. Denn ihre Kunden kennen die Internetpreise.
4. Falsche Angebotsartikel
Und dann die Angebotsartikel – die alte Achillesferse vom Mediamarkt! Zwei, drei Klicks bei Amazon und schon entpuppt sich der Waschvollautomat von Bosch aus dem Kampagnenprospekt als Altware, die noch schnell vom Hof muss. Spätestens hier ist die Glaubwürdigkeit dahin.
Man kann den Verantwortlichen bei Media Markt nur raten, schnell wieder zur Besinnung zu kommen und die Kampagne sofort zu stoppen. Und noch einmal in Ruhe nachzudenken.