Es diskutieren auf dem Forum „Innovation“ am Buchmessen-Samstag:
- Heiko Hebig, Burda Media, Internetstrategien
- Kurt Jansson, Wikimedia Deutschland e.V.
- Ibrahim „Ibo“ Evsan, sevenload.de, Gründer
- Oliver Wagner, Agenurblog.de, Werber
[Alle hier von mir wiedergegeben Äußerungen sind keine Wortprotokolle und auch nicht vollständig, sondern meist sinngemäße und lückenhafte Zusammenfassungen.]
Der Begriff
Was heißt „Web 2.0“?
Heiko Hebig: Es ist einfacher geworden, Inhalte ins Netz zu stellen, das muss man nicht unbedingt „Web 2.0“ nennen. Das gab es schon früher.
Kurt Jansson: „Ich sehe den Begriff Web 2.0 kritisch, was wir jetzt sehen ist von Anfang an im Netz angelegt gewesen.“ Auch Tim Berners—Lee hatte ähnliche Ideen wie die, die jetzt beim Web 2.0 umgesetzt werden. „Was wir jetzt sehen – Wikis und Weblogs – macht diesen Prozess einfacher.“
Ibo Evsan: Was ich verbessert hat ist die Technik. Zum Beispiel dynamische Veränderung von Webseiten durch die AJAX-Technologie. Und Investoren investieren wieder in neue Ideen. Der Begriff Web 2.0 ist schon OK.
Oliver Wagner: es ist eine Evolution, keine Revolution. Es gibt Entwicklungen, wie den neuen Rückkanal, die das Web besser benutzbar machen.
Datenschutz
Gehört das Netz den Nutzern oder werden sie (wieder?) Opfer von Datensammlern.
Wagner: Man kann nun seine Daten der Welt zur Verfügung stellen und kann diese Chance nutzen.
Hebig: Das Netz ist aktuell recht wenig reguliert und wir müssen aufpassen, dass das auch so bleibt. Das Netz ist das einzige Medium, das uns die Chance gibt, als Kreative darzustellen. Das ist eine immense Chance.
Ibrahim Evsan: Wenn man es möchte kann man sich in kürzester Zeit durch persönliche Präsenz – bei Videopodcasts – zum Star zu werden.
Kurt Jansson: Gehört nur das mir, was ich beigetragen habe? Und inwieweit gehört mir der Rest? Welche Rolle spielt das Urheberrecht? Man kann in solchen Projekten sogenannte freie Lizenzen nutzen und so sicher stellen, dass die Inhalte, die man ins Netz stellen auch von anderen nutzbar sind und beispielsweise auch verändert und weiterentwickelt werden können? Man kann bei Lizenzen der „Creative Commons“ beispielsweise kommerzielle Nutzung erlauben oder beschränken.
Hebig: Wir prüfen, ob wir unsere Inhalte in dieser Weise zur Verfügung stellen können und müssen eruieren, welche Rechte wir selbst überhaupt haben, Wir hoffen, bald Inhalte unter Creative Commons Lizenz zur Verfügung stellen zu können.
Hürden
Was müssen User wissen über das neue Web?
Kurt Jansson: Man kann beispielsweise die Inhalte der Wikipedia selbst verbessern oder ergänzen, wenn sie fehlerhaft oder unvollständig sein… Diese direkte Änderbarkeit ist ein wichtiger Motivationsfaktor.
Ibrahim Evsan: Es geht nichts kaputt, wenn man auf einen Knopf bei uns drückt. Wenn man sich traut, kann man bei uns ganz simpel Videos hochladen. Das dauert Sekunden. Ein Blog einzurichten ist nicht viel komplizierter.
Heiko Hebig: Wir machen Homebanking und kaufen bei Ebay, aber wer hat schon mal was bei Wikipedia veröffentlicht? [Es stellt sich heraus, dass das nicht wenige der Anwesenden im Publikum bereits getan haben.]
Kurt Jansson: So schwer ist das nicht, die deutsche Wikipedia-Seite ist das global zweitgrößte Wikipedia-Projekt und steuert auf eine halbe Million Seiten zu. Offenbar besteht in Deutschland eine Neigung zu solchen Wissensprojekten.
Oliver Wagner: Was für uns selbstverständlich ist, RSS, Tags etc. ist „draußen“ oft unbekannt und nicht jeder hat es ins einer Freizeit auf dem Radar das zu tun. Wenn man das aber mal verstanden hat, hilft es einem beim Umgang mit dem [neuen] Web.
Ibo Evsan: Wir sind sechs Monate online und von Web 2.0 redet man kaum zwei Jahre. Geben Sie uns noch einmal zwei Jahre und es wird alles noch einfacher werden.
Heiko Hebig: Unsere europäischen Nachbarn wie Polen sind weit in der Internetnutzung und wenn wir nicht aufpassen geht da eine Schere auf und Deutschland bleibt zurück.
Kurt Jansson: Meine Eltern werden weder ein Blog aufmachen noch die Wikipedia edierem. Das ist eine neue Entwicklung, die eben auch ein Generationenproblem ist. Diese Entwicklung wird große Gesellschaftliche Folgen haben.
Ibrahim Evsan: Natürlich will man persönliche Daten nicht jedem zur Verfügung stellen, aber viele laden schon ihre Urlaubsbilder hoch oder stellen ihre Lebenlaufinfos in Businessnetzwerken zur Verfügung. Aber die Leute werden mutiger und offener.
Heiko Hebig: Die Zugangshürde zu Netzangeboten ist relativ niedrig. Mehr als eine gültige Mailadresse und ein eventuell erfundener Name sind nicht nötig.
Kurt Jansson: Die Wikipedia kann man sogar ohne Namensangabe oder Mailadresse edieren. Wir sind da sehr sparsam. Aber es ist wichtiger den Mut zu entwickeln, an solchen Projekten mitzuarbeiten und sich auch der Kritik zu stellen.
Signal und Rauschen
Wie filtert man den Müll aus?
Oliver Wagner: Bei Lycos IQ stellt sich diese Frage auch. Die Nutzer wollen verlässliche Antworten haben. Es wird angezeigt, was ein Mensch vorher auf der Plattform gemacht? In welchem Bereich haben seine Antworten gute Bewertungen erhalten?
Kurt Jansson: Bei uns kann jeder Nutzer Artikel zur Löschung vorschlagen, es gibt einen ständig voranschreitenden Verbesserungprozess. Artikel werden zum bearbeiten nur dann gesperrt (wenn sie gut sind) oder gelöscht, wenn diese Handlung von der Community gedeckt ist.
Hebig: Jedes Medium hat auch Trash. Jeder hat da auch einen andere Ansicht. Was für mich Trash ein mag ist für andere vielleicht interessant. Weiterlesen, es gibt sicher irgendwo etwas, was einem interessiert.
Ibrahim Evsan: Wir geben aktiven Usern einen Status, so dass sie mehr auf der Plattform können. Wir verlassen uns auf unsere User, dass sie problematische Inhalte melden. Die Selbstregulationsmechanismen und das Beschwerdemanagement funktionieren bei uns. Inzwischen wollen ja Filmhersteller mit uns zusammenarbeiten und möchten ihre Filme bei uns sehen.
Hebig: Wir sehen einen starken Trend, dass Unternehmen dieses Medium verstehen und mit dem Medium arbeiten – wie Warner Bros.- , während andere Firmen ihre Anwälte losschicken – wie Universal. Ich hoffe dass es in Zukunft mehr Firmen gibt, die diese Chance nutzen.
Der Schwarm 2.0
Was ist ‚kollektive Intelligenz‘?
„Jeder orientiert sich an den andren, aber keiner führt.“
Kurt Jansson: Diese Begriffe sind etwas mit Vorsicht zu genießen. Von außen ist man bar erstaunt vor der Masse der Artikel und Änderungen. Auch wir können nur Ausschnitte des Projekts zu einem Zeitpunkt wahrnehmen. Deshalb benutzt man dieses Bild vom „Schwarm“. Aber das ist nicht die volle Antwort. Es gibt einen festen Kern des Projekts, dessen Mitglieder täglich online sind und viele Stunden arbeiten. Dinge wie Urheberrechtskontrolle sind eine Menge Arbeit, die man nur leistete, wenn man hinter dem Projekt steht. In Zukunft wird man sich entscheiden könne, ob man eine geprüfte Version eines Artikels sehen will oder die jeweils aktuellste, veränderte.
Ibrahim Evsan: Presse und Fernsehen sollten noch mehr auf solche Dienste wie Wikipedia hinweisen anstatt Formate wie DSDS zu pushen.
Wagner: Klassische Medien werden eine Bewegung ins Netz nicht unterstützen – es sei denn das ist in Ihrem Interesse.
Hebig: Es werden immer mehr Nischen entstehen. Neue Zeitungen werden wir in Zukunft seltener sehen. Im Netz konvergieren Text, Audio und Video und das ist das bessere Medium um kleinere Nischen anzusprechen.
Ordnung und Chaos
Muss man die Aufmerksamkeit in den Zeiten des „Information Overload“ lenken?
Hebig: Man muss im Netz gar nicht sondern man kann. Wer jetzt schon vom Netz überfordert ist, der wird sich noch überforderter fühlen-. Die Informationsflut wird zunehmen und das finde ich prima. Es gibt auch Mechanismen um sich diese Informationen gefiltert anzeigen zu lassen.
Janssen weist auf Emailbenachrichtigungen bei Wikipedia hin, Wagner auf Aggregatoren.
Auf die Publikumsfrage von Alex Wunschel auf dem Publikum, ob auch eine Bezahlung der Nutzer denkbar ist, antwortet Ibo, dass so etwas erst denkbar ist, wenn das Phänomen sich noch weiter verbreitet hat.
Hebig: Ich fühl mich mal als Medienkonzern angesprochen…
Wagner: Geld ist nicht der Motor hinter dem Web 2.0 steckt. Sondern eher der Wunsch eigene Kreativität mit anderen zu teilen. Aber wenn Werbeeinnahmen erzielt werden, kann man sich Gedanken darüber machen, wie die Einnahmen an die User verteilt werden können.
Kurt Jansson: Wir brauchen kein Businessmodell sondern wir müssen nur herausfinden, wie wir die laufenden Kosten für Server und sechs angestellte.
Und was halten dei Anwesenden für die zukunftsfähigsten Anwendungen des aktuellen Web 2.0?:
Hebig: Flickr.com
Kurt Jansson: Das Creative Commons Projekt
Ibo Evsan: Wikipedia, es werden aber heute Stars geboren werden
Oliver Wagner: Weblogs und del.icio.us