Mitfahrgelegenheit gesucht

muente.jpg So ein Ding wie Münte trage ich seit dem heutigen Nachmittag auch am rechten Bein. Früher wäre das Bein für vier Wochen eingegipst worden, heute gibt es Hochtechnologie für den gleichen Zweck.
Nur Autofahren kann ich damit nicht. Fährt zufällig ein Fischmarkt-Leser aus Richtung Altes Land zur Arbeit gen Hamburg-Ottensen? Mitfahrgelegenheit gesucht! Ernstgemeinte Zuschriften sowie Spott aller Art bitte an m.recke@fischmarkt.de adressieren.
Foto: Bild.T-Online.de

Krankenakte No. 1

Mit einem Liegegips am Bein sieht die Welt gleich ganz anders aus. Gehen ist nicht mehr, Stehen nur auf einem Bein, also höchstens, um sich mal eben die Hände zu waschen. Stattdessen darf ich mit zwei Stützen meine Armmuskeln stärken, wenn ich nicht gerade im Bett liege oder sitze.
Neue, völlig unbekannte Probleme tauchen auf. Wie soll ich Dinge von A nach B tragen, wenn gar keine Hand frei ist? Bis jetzt heißt meine Lösung: im Rucksack. Der liegt immer neben dem Bett und wird gepackt mit allem, was ich gerade brauche. Zum Beispiel eine Wasserflasche. Oder einen Joghurt aus dem Kühlschrank. Löffel nicht vergessen.
Vergessen ist ohnehin fatal. Nicht wissen, wo genau das Gesuchte liegt. Denn Suchen ist mühsam. Insbesondere Treppensteigen: eine Hand am Geländer, in der anderen die beiden Stützen, eine horizontal, eine vertikal. Dann zuerst mit dem gesunden Fuß eine Stufe nach oben hüpfen, die Stütze nachziehen und schließlich am Geländer ein Stück höher greifen. Diesen Vorgang pro Stufe genau einmal wiederholen.
Treppab ist leichter. Aber bloß nicht fallen, sonst fängt das Ganze womöglich von vorne an.
Heute kommt mein WLAN. Dann muss ich nicht mehr so oft auf die Treppe. Das Arbeitszimmer ist oben. Das Internet auch. Aber bald schwebt es ja durch die Luft.
Schönes Wetter draußen. Könnte jemand mal mein Bett nach draußen tragen? Der Rasen müsste dringend gemäht werden. Nach dem Regen der letzten Tage ist er nochmal kräftig gewachsen. Dabei wollte ich ihn schon vor einer Woche mähen, aber dann kam diese Kleinigkeit dazwischen.
Auf dem Rücken schlafen, das rechte Bein hochgelegt, ist meine Sache nicht. Um nicht zu sagen: Das geht eigentlich nur, wenn ich richtig müde bin. Aber wovon soll ich müde werden, wenn ich den ganzen Tag nur liege oder sitze? Ich kann schlafen, soviel ich will, aber ich bin gar nicht müde.
Tippen im Liegen ist schwierig, wenn ich nicht auf dem Bauch liegen kann. Auf dem Bauch liegen ist auch schwierig. Denn wohin mit dem Gips? Das Ding ist zwar nur eine Schiene und nicht belastbar, also eher dünn, aber trotzdem schwer.
Außerdem muss ich mich irgendwie aufstützen. Mit den Armen, die nicht besonders kräftig und schon vom Gehüpfe mit den Stützen belastet sind. Das gibt womöglich eine Schleimbeutelentzündung an den Ellenbogen, und wenn ich mich richtig erinnere, fing die ganze Geschichte mit einer solchen an.
Also vielleicht doch besser sitzen. Am Schreibtisch oben im Arbeitszimmer. Das Bein auf den Gymnastikball gelegt. Oder am Küchentisch, Bein auf einem zweiten Stuhl.
Das hochgelegte Bein baut seine Muskulatur schneller ab, als ich gucken kann. Der Oberschenkelmuskel, der normalerweise bei angewinkeltem Bein gedehnt wird, hat sich schon verkürzt.
Soeben heult die Zwölf-Uhr-Sirene. Bis zwölf, so hatte es gestern Amazon versprochen, soll der Übernachtdienst von DHL mein WLAN liefern. Gibt das jetzt Rabatt? Kommt der freundliche Paketbote noch?
Soll ich nach oben klettern und im Internet nachsehen, wo meine Lieferung bleibt? Aber was ist, wenn genau dann der Postbote kommt? Dann muss ich flugs die Treppe hinabhüpfen. So wie gestern, als der nette Rentner den Fleuropstrauß von meinem Arbeitgeber brachte, der jetzt auf dem Küchentisch steht.
Lieber noch etwas warten. Der kommt ja manchmal später. Obwohl – liefert die Post nicht inzwischen Briefe und Pakete gleichzeitig aus? Die Post war heute schon früh da.
Heute vor einer Woche saß ich beim ärztlichen Notdienst im früheren Kreiskrankenhaus und wartete. Bis dato war ich auf eine Bänderdehnung eingerichtet, wie ich sie mir vor einem Jahr am gleichen Fuß zugezogen hatte. Der Fuß war angeschwollen, aber ich konnte noch humpeln und tat es auch ausgiebig.
Vom Notdienst in die Notaufnahme. Von dort zum Röntgen und wieder zurück. Mein Gehumpel endete mit dem eindeutigen Videobeweis: Das Sprunggelenk war gebrochen. Ich durfte noch in den Gipsraum humpeln und mir eine schicke Schiene ans Bein gipsen lassen.
Dann ins Krankenhausbett und ab auf die Station. Ende der ärztlichen Versorgung. Ich war kein Notfall mehr, weil mein nächtlicher Treppensturz schon mehr als sechs Stunden zurücklag. Nun muss zunächst die Schwellung zurückgehen, bevor operiert wird.
Am Wochenende kocht das Krankenhaus auf Sparflamme. Solange nichts passiert, passiert nichts. Jetzt ist Warten erste Patientenpflicht. Patient kommt von patientia, lat. Geduld. Die wird reichlich gebraucht.
Den Tag strukturieren die drei Höhepunkte namens Frühstück, Mittagessen und Abendbrot. Dazu kommt die auf einer unfallchirurgischen Station obligatorische regelmäßige Ausgabe der Schmerztropfen. Die Stimmung im Dreibettzimmer steigt, sobald die Schwester mit den kleinen blauen Näpfen hereinkommt.
Die Tropfen wirken gut, machen aber etwas dumpf im Hirn. Was der geforderten Geduld entgegenkommt. Am Sonntag setze ich sie ab, weil ich gar keine nennens- und behandelnswerten Schmerzen mehr habe. Zumal auch in der krankenhaustypischen Pillendose (morgens-mittags-abends-nachts) noch Schmerzmittel sind, die ich brav nehme.
Montag gegen sieben in der Frühe kommt zum ersten Mal das tägliche Schlüsselereignis in jedem Krankenhaus an mein Bett: die Visite. Der Doc murmelt nur wortarm, man wolle sich zuerst die Bilder und danach den Fuß ansehen, um zu wissen, wann er operiert werden kann.
Damit ist der Montag im Prinzip schon gelaufen. Keine weiteren Fragen. Vor Dienstag passiert gar nix. Frühstück, Mittag, Abendbrot. Ausgabe der Schmerztropfen ohne meine Beteiligung.
Die nette, coole Nachtschwester, die in dieser Nacht ihren Dienst antritt, bringt die Pillen für den nächsten Tag mitten in der Nacht. Ich werde wach, als sie das Zimmer verlässt.
Dafür stellt sie die Dosen auf den Nachtschrank und nicht hinter den Fernseher wie ihre Kollegin vom Wochenende. Wie groß ist wohl die Motivation von Patienten mit gebrochenen Extremitäten, das Bett zu verlassen, nur um eine Pillendose zu holen? So toll sind die Drogen dann auch wieder nicht.
Jetzt ist es gleich eins und das WLAN immer noch nicht da. Dafür ist jetzt der Akku leer. Also speichern, ausschalten und fürs Erste Zeitung lesen. Und noch etwas auf den DHL-Boten warten.

Kurz nach Fertigstellung dieses Manuscriptes kam der Postmann tatsächlich. Etwas später war der Router installiert, und jetzt sitze ich im Garten unserer Nachbarn und trinke Kaffee.

Context is King

In einem Krankenhaus ohne WLAN kommt das gute, alte gedruckte Wort zu ganz neuen Ehren. In meinem Bücherstapel auf dem praktischen Multifunktionstisch lag natürlich auch das epochale Werk von Chris Anderson (obwohl ich zu meiner Schande gestehen muss, dass ich immer noch erst auf halber Strecke bin). Auf Seite 109 – die Paginierung des Vorabexemplars könnte abweichen – zitiert er Rob Reid von listen.com:

In a world of infinite choice, context – not content – is king.

Den Gedankengang fasst keiner so schön zusammen wie Chris Gilbey:

People keep talking about content being king. And though that may have been in some distant part of the past there has been a growing unreported move to context. This is not to dismis the value of the underlying content. But as convergence becomes more present, it is the context that is driving value.

Der Kontext ist die Navigationsebene des Long Tail. Die Beispiele sind bekannt: der Pagerank-Mechanismus von Google, die Empfehlungsmaschine von Amazon, die automatischen Playlists von Pandora oder Yahoo Launchcast (funktioniert nicht mit Firefox, deshalb kennt es kein Mensch), Nutzerrezensionen, Empfehlungen u.v.m.
Ich für meinen Teil muss ja sagen, dass ich den Satz „Content is king“ schon lange für ausgemachten Blödsinn gehalten habe, wenn auch aus anderen Gründen. Denn der Satz impliziert ja, es gebe so etwas wie Medieninhalt, der unabhängig wäre vom Medium oder Distributionskanal.
Das ist aber keineswegs der Fall, denn jedes Medium und sogar jeder Distributionskanal unterliegt seinen eigenen Gesetzen. Zwar ist es möglich, Kinofilme auch auf DVD zu brennen und im Fernsehen zu zeigen. Aber ein Kinofilm bleibt ein Kinofilm, und Kinofilme allein machen noch kein RTL.
Content wird in einer Welt mit breitem Zugang zu seinen Produktionsmitteln tendenziell zu einer Commodity. Der Mehrwert wird durch Kontext geschaffen.

Problogger unterm Messer

Aufmerksame Leser werden es gemerkt haben: Mein Kollege Martin Recke, der an dieser Stelle für gewöhnlich dem Fischmarkt täglich neu sein Leben einhaucht, schweigt seit einigen Wochen. Das war sein gutes Recht, denn er hatte Urlaub. Unglücklichweise hat er sich jetzt an diesem Wochenende das Sprunggelenk gebrochen und liegt in ca 2. Std. unterm Messer. Freundlich wie wir sind, haben wir ihm angeboten, so bald er will, Laptop und UMTS-Karte ins Krankenhaus zu bringen, damit er seinem liebsten Hobby, dem Fischmarkt-Bloggen, so schnell wie möglich wieder frönen kann. Wahrscheinlicher ist es aber, daß es noch ein wenig dauert, bis er in gewohnter Schärfe den Kampf gegen die größten Nörgler der Internetwelt aufnehmen kann. Martin, von dieser Seite erstmal viel Glück für die OP & gute Besserung!