Mark Granovetter, einer der bedeutendsten zeitgenössischen Soziologen, konnte schon in den 80er Jahren nachweisen, dass die Position in einem sozialen Netzwerk das Verhalten oder auch Ergebnisse in vielen Bereichen beeinflussen kann. So zeigte er z.B., dass Personen über ihre entfernten Kontakte eher neue Jobs finden konnten als über ihre nahen Freunde oder Verwandte. Dieses Phänomen ist unter dem Schlagwort „The strength of weak ties“ bekannt geworden.
Zudem kritisierte Granovetter, dass sich die klassische Wirtschaftswissenschaft zu sehr auf die Motivation (z.B. Gewinnmaximierung) eines Einzelnen konzentriert, dabei aber die sozialen Verbindungen vernachlässigt, da sie schließlich erst Interaktion ermöglichen. Zunehmend werden daher bei wirtschaftswissenschaftlichen Fragestellungen auch die sozialen Netzstrukturen berücksichtigt. Sicherlich verbreitet sich z.B. Word-of-Mouth einfacher in einem dicht vermaschten sozialen Netz als in einem Netz, in dem die Personen kaum miteinander kommunizieren.
Wie bereits hier beschrieben, beschäftige ich mich in meiner Dissertation mit dem interaktiven Preismechanismus Reverse Pricing (auch „Name-Your-Own-Price“ genannt). Dabei legt der Verkäufer eine unsichtbare Preisschwelle fest, und Käufer geben ein Gebot ab. Ist das Gebot höher als die unsichtbare Preisschwelle, so bekommt der Käufer das Gut für den Preis seines Gebots. Andernfalls wird das Gebot abgelehnt. Dieser Preismechanismus wurde zuerst von Priceline.com eingeführt, aber es gibt eine Reihe weiterer Anbieter, die ebenfalls diesen Mechanismus einsetzen. eBay führte z.B. erst kürzlich die Option „Best Offer“/“Preis vorschlagen“ ein.
Natürlich sprechen sich angenommene und abgelehnte Gebote in der Käuferschaft herum und beeinflussen dadurch das Gebotsverhalten anderer Käufer. Nehmen wir z.B. an, dass ich erfahre, dass ein Gebot in Höhe von 200 EUR abgelehnt wurde und ein Gebot in Höhe von 300 EUR angenommen wurde. Falls die Informationen wahr sind, werde ich zwischen 200 EUR und 300 EUR bieten. Umso mehr Informationen mir zugänglich werden, desto näher werde ich an der Preisschwelle bieten können. Von daher hat die soziale Netzstruktur unter den Käufern einen erheblichen Einfluss auf das Geschäftsmodell von Reverse Pricing.
In sozialen Netzwerken haben Personen Zugang zu besonders vielen Informationen, wenn sie zu vielen anderen Bietern eine Beziehung unterhalten. So haben z.B. Knoten A und C in Abbildung 1 eine Verbindung zu 6 weiteren Knoten. Betrachten wir Knoten B, so fällt auf, dass er zwar nur zwei Beziehungen unterhält, aber zwei vollkommen verschiedenen Teile des Netzwerks verbindet. Einen solchen Knoten nennt man Brücke oder Intermediär, und es ist bekannt, dass solche Personen Zugang zu sehr diversen Informationen haben. Umso höher die Diversität von Informationen, desto niedriger die Redundanz der Informationen, und daher sollte auch Knoten B, oder allgemein Knoten, die sehr unterschiedliche Teile des Netzwerks verbinden, besonders nahe an die Preisschwelle heran bieten. Und letztlich fällt auf, dass Knoten A zwar genauso viele Beziehungen unterhält wie Knoten C, aber das Subnetzwerk um A herum wesentlich besser vermascht ist. Das ist ein Zeichen für eine Clique, und in solchen Cliquen sind Leute bereit, sich gegenseitig besonders stark zu unterstützen. Daher vermuten wir, dass bei einer hohen Vermaschung die Gebote auch eher Richtung Preisschwelle gehen (also tendenziell besser sind aufgrund der Informationen). Knoten A sollte daher näher an die Preisschwelle heran bieten können als Knoten C.
Um solche Hypothesen beweisen zu können, müsste man also die Netzstruktur der Bieter und deren Gebote kennen. Glücklicherweise waren wir in der Lage, ein entsprechendes Experiment in einer virtuellen Welt durchzuführen. In einem Spiel, das sich über den Verkauf von virtuellen Gegenständen finanziert, verkauften wir ein Bündel dieser virtuellen Gegenstände mit dem Reverse-Pricing-Mechanismus. Die Spieler konnten im Spiel eine Freundesliste unterhalten (sehr ähnlich zu der Kontaktliste in Skype oder Freundesliste in ICQ). Aus dieser Freundesliste kreierten wir ein gerichtetes Netzwerk, das als Modell für das Kommunikationsmodell zwischen den Bieter dienen kann(siehe Abbildung 2).
Mit Hilfe der sozialen Netzwerkanalyse errechneten wir schließlich die Maße (Grad der Knoten, Betweenness und Clustering-Koeffizienten) der Knoten und konnten dabei auf statistisch signifikantem Niveau nachweisen, dass Bieter in zentralen Positionen näher an die Preisschwelle bieten. Besonders erfolgreich waren Bieter, die Beziehungen zu verschiedenen Teilen des Gesamtnetzwerks hatten. Allerdings – und das war überraschend – bieten Bieter in starken Cliquen signifikant schlechter als vergleichbare Bieter in nicht so dicht vermaschten Teilnetzen. Vermutlich können sich Personen, die ständig von nahen Freunden beeinflusst werden, nicht mehr von deren Einstellung lösen und bieten daher nicht mehr rational und daher tendenziell schlechter.
Aus diesen Ergebnissen lässt sich nun eine Vielzahl von Implikationen für Reverse-Pricing-Verkäufern ableiten, die ich an dieser Stelle aber nicht darstellen möchte (bei Interesse bin ich gerne über E-Mail erreichbar).
Es sollen an dieser Stelle aber drei Dinge festgehalten werden:
- Kontakte in unterschiedliche Bereiche können extrem hilfreich sein („strength of weak ties“)
- Soziale Netzwerke haben einen nachweisbaren Einfluss auf ökonomische Erfolgsgrößen
- Virtuelle Welten eignen sich hervorragend für kontrollierte Experimente. Das haben mittlerweile auch Unternehmen erkannt, die zunehmend in Welten wie Second Life z.B. Designvarianten zum „Testverkauf“ anbieten und so Marktforschung mit extrem hoher externer Validität durchführen.
Aus wissenschaftlicher Sicht sind diese Entwicklungen abseits des Hypes von daher von höchstem Interesse. Ich möchte mich noch einmal bei der SinnerSchrader AG bedanken, die es mir im Rahmen des Stipendiums möglich gemacht hat, meine Ergebnisse international zu präsentieren.
Oliver Hinz