Teil 3 der mehrteiligen Serie zum zwanzigjährigen Bestehen der Page und zum zehnjährigen Bestehen von SinnerSchrader. Teil 1: Computersozialisierung bei Horten, Teil 2: Ein seltsames Protokoll
Das Schülerzeitungsprojekt professionalisierte sich zunehmend: nationale Anzeigenkunden, höhere Verbreitung – und immer noch ein Schriftbild aus dem 9-Nadeldrucker. Es war schrecklich. Wir bewunderten die visuelle Sprache der neuen Magazine wie Wiener, Basta und schließlich Tempo – und uns fiel die erste PAGE in die Hände. Es musste was geschehen – nur was? Das Traumpaar Mac & Laserwriter war für uns völlig unerschwinglich.
Und hier beginnt die Geschichte des Atari ST und eines seltsamen Ausfluges heimischer Software-Entwickler in die grafische Industrie. Schuld war wohl ursprünglich Franz Schmerbeck. Er schrieb mit Signum2 für den Atari eine Textverarbeitung und hatte dabei eine geniale Idee: Für die Druckausgabe der gerade auf den Markt gekommenen 24-Nadeldrucker nutzte er nicht die eingebauten Druckerschriften, sondern ließ die komplette Textseite als Bitmap-Datei aufbereiten.
Dabei steuerte er die einzelnen Drucknadeln durch zeilenweisen Versatz so geschickt an, dass die 24-Nadler eine native Druckauflösung von 360 dpi erzielten – höher als jeder Laserdrucker damals. Gleichzeitig entwickelte er Tools, mit dem Schriftenliebhaber hochwertige und hochaufgelöste Bitmap-Fonts selbst entwickeln konnten. Innerhalb kürzester Zeit wurde Signum2 zur beliebtesten Textverarbeitung auf dem Atari und es entstand innerhalb weniger Monate eine große Schriftenbibliothek.
Mittels Signum und der Zoom-Taste des Schulfotokopierers erreichten wir 1986 fast Fotosatzqualität im Mengentext. Und dann überraschte uns Christian Griesbeck Ende desselben Jahres mit Calamus. Calamus war nicht nur ein ausgewachsenes rahmenorientiertes Layoutprogramm: Der junge Griesbeck hatte fast im Alleingang quasi nebenbei ein eigenes grafisches Betriebssystem entwickelt. Er verzichtete auf alle GEM-Routinen des Atari-Betriebssystems für die Bild- und Druckausgabe und setze sowohl für die Bildschirm- als auch Druckausgabe eigene Softripping-Algorithmen ein.
Während man auf dem Pagemaker noch Headlines in Klötzchenoptik sah (Adobe rückte erst vier Jahre später den ATM raus), konnte man mit Calamus Ende 1986 bereits auf dem Bildschirm 1:1 in der Belichterauflösung von 2540 dpi arbeiten. Es haute uns schier aus den Socken. Adobe und Steven Jobs griffen das Konzept wenig später unter dem Begriff Display Postscript auf – kriegten es aber unter NextStep nie performant. Wir hingegen layouteten nun für unsere Zeitung Tag & Nacht. Hatten viel Spaß, lernten viel und waren glücklich.
Fortsetzung folgt