Kleiner Denkanstoß für die Musikindustrie

Liebe Musikindustrie,
auf dem Reeperbahn Festival habe ich dieser Tage wieder jede Menge Gejammer über die Folgen der digitalen Transformation für Musiker, Labels und die Musik insgesamt gehört. Es fing an mit Herbert Grönemeyer, der es offensichtlich in seinem Alter und auf seinem Level nicht mehr für nötig hält, die jüngsten Entwicklungen des Konsumentenverhaltens und der Konsumentenwünsche auch nur zur Kenntnis zu nehmen. Und es hörte, leider, damit nicht auf.
Folgendes würde ich Euch gern auf den Weg mitgeben, nachdem Ihr nun aus Hamburg wieder in Euren Alltag zurückkehrt: Es hat keinen Sinn, gegen Streaming zu kämpfen, wenn es das ist, was der Konsument möchte. Der Konsument entscheidet, wofür er sein Geld ausgibt. Macht ihm attraktive Angebote, und der Umsatz wird kommen.
Seit Spotify in Deutschland auf dem Markt ist, zahle ich jeden Monat knapp zehn Euro für Musik. Das sind 120 Euro im Jahr. Vielleicht etwa die gleiche Summe habe ich in den letzten zehn (!) Jahren für CDs ausgegeben. Plus eventuell etwas mehr bei iTunes. Aber erst Spotify hat mich dazu gebracht, Musik im Abo zu beziehen. Man sieht schon: Ich bin kein hartgesottener Fan, der sein frei verfügbares Einkommen für Musik und Merchandising ausgibt.
Doch noch mal zum Mitschreiben: Dank Streaming im Allgemeinen und Spotify im Besonderen gebe ich nun erheblich mehr Geld für Musik aus als zuvor. Mehr Umsatz für Euch, liebe Musikindustrie! Wie Ihr jetzt das Geld verteilt, was die Künstler bekommen und was für den Rest draufgeht, das macht bitte unter Euch aus. Das kann ich nicht lösen.
Ich höre nun aber mehr Musik und vor allem eine größere Vielfalt an Musik als zuvor. Und zahle dafür mehr als zuvor. Das kann so schlecht für Euch nicht sein.

Wird Spotify den deutschen Markt aufrollen?

Es wird wohl nur wenige Start-ups geben, auf deren Deutschlandstart wir solange warten mussten wie auf Spotify. Das hatte keinen rationalen Grund, sondern lag allein an der völlig absurden rechtlichen und politischen Gemengelage.
Und wie die Faust aufs Auge passt, dass Spotify tatsächlich ohne eine Vereinbarung mit der GEMA gestartet ist, sozusagen auf eigenes Risiko. Gleichzeitig melden die Datenschützer Bedenken an, wegen der Integration mit Facebook.


Alles wie gehabt also? Wahrscheinlich ja. Vermutlich dürfte jener höhere Musikdienst, den wir verehren (Jochen Wegner) früher oder später den deutschen Markt so aufrollen, wie es Amazon (1998), Ebay (1999), Facebook (2008) oder Groupon (2010) vor ihm getan haben. Der einzige Unterschied: Spotify ist kein amerikanisches Start-up, sondern ein europäisches.
Dem deutschen Spotify-Klon simfy gebührt das Verdienst, den hiesigen Markt für das Streaming von Musik reif gemacht zu haben. Doch jetzt sieht sich simfy einem starken Wettbewerber gegenüber, der zudem mit seiner API einen strategischen Vorteil hat. Es bleibt abzuwarten, wie sich simfy dieser Herausforderung stellen wird.
simfy gehört zu den Kunden von SinnerSchrader Mobile.

Mit wahwah.fm wird das iPhone zur mobilen Radiostation

Seit letzter Woche ist die komplett neue Version 2.0 von wahwah.fm im App Store verfügbar. Damit kann jedes iPhone zum mobilen Musiksender werden, sozusagen zum interaktiven iPod. Als Sendematerial dient die lokale Musiksammlung, soweit sie im Sortiment von wahwah.fm verfügbar ist. Diese Einschränkung hat, wie immer bei Musik im Internet, lizenztechnische Gründe. Zwar hat wahwah.fm Vereinbarungen mit großen Labels und der GEMA, doch deckt dies längst nicht alles ab, was sich an Musik auf einem iPhone finden lässt.
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Dem Unterhaltungswert der App tut dies jedoch keinen Abbruch. Relativ fix ist ein Profil eingerichtet und die Musik erfasst. Die Playlist lässt sich entweder automatisch nach dem Zufallsprinzip, per manueller Auswahl oder in einer beliebigen Kombination daraus zusammenbauen. Einmal auf Play gedrückt, und schon ist das eigene Musikradio auf Sendung. Das Streaming übernimmt wahwah.fm, was die Bandbreiten des Konsumenten schont und eine wirklich mobile Nutzung erleichtert.
Den ersten Prototyp zeigte wahwah.fm im vergangenen Jahr auf der NEXT11 – und gewann damit prompt den Start-up-Wettbewerb. Seitdem hat wahwah.fm Investoren und Medien wie BBC und New York Times gleichermaßen begeistert. TechCrunch bezeichnete wahwah.fm als „Foursquare for sound“.
Für März plant wahwah.fm sein Debüt in den USA und die weitere europäische Expansion. CEO und Gründer Philipp Eibach sieht wahwah.fm als Indikator und zugleich Beschleuniger des Trends, Musik nicht mehr zu kaufen, sondern als Dienstleistung wie Strom aus der Steckdose zu beziehen. „Wer damit Geld verdienen will, muss neue Wege gehen.“
Auf der NEXT Berlin 2012 werden neue Start-ups die Gelegenheit haben, ihre Ideen dem Publikum und einer Jury aus digitalen Experten vorzustellen. NEXT Berlin und Deutsche Telekom suchen gemeinsam die vielversprechendsten Kandidaten. Der Nominierungs- und Abstimmungsprozess startet in März auf nextberlin.eu. Mehr dazu in Kürze dann auch hier.
Doch Bewerber sollten auf einen möglichen Gewinn vorbereitet sein, mein Philipp Eibach von wahwah.fm. „Wenn wir gewusst hätten, was es bedeutet, diesen Preis zu gewinnen, dann wären wir wohl nicht so früh in unserem Entwicklungsprozess an die Öffentlichkeit gegangen. Am Tag nach unserem Sieg auf der NEXT riefen Medien wie MTV New York an und wollten über uns berichten.“
Tickets für die NEXT Berlin 2012 gibt es auf nextberlin.eu.

Spotify emanzipiert sich von Facebook…

… und wird Social Network?
In den letzten Wochen wurde viel darüber debattiert, ob Spotify sich zu stark an Facebook bindet. Denn ohne einen Account des Social Networks läuft nichts mehr bei dem Streamingdienst.
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Doch nun wird klar: Spotify ist mitnichten bereit, sich willenlos in die Arme Facebooks fallen zu lassen.
Zunächst präsentierte das Startup seine Plattform-Strategie und öffnete die Software für Apps externer Anbieter. Und mit dem neuesten Update geht Spotify noch einen Schritt weiter und bietet nun differenzierte Sharing-Optionen.
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Erstmals können die Nutzer genau wählen, mit wem sie ihren Musikkonsum teilen möchten. Facebooks Open Graph ist dabei nur eine Option. So wäre es künftig auch möglich, lediglich innerhalb des Spotify-Ökosystems zu sharen.
Das ist ein weiterer Schritt Spotifys von Streamingdienst in Richtung Social Network und wäre ein klarer Angriff auf Apples Ping – wenn das irgendjemand benutzen würde.

Print ist die neue Musikindustrie

My sources say Murdoch never uses the internet. I think he simply doesn’t understand how it – and his company – operate there.
Jeff Jarvis

Rupert Murdoch hat eine Mission. Er möchte die Medienkonsumenten, sagen wir es ruhig, zum Zahlen zwingen. Und dazu ist er auch bereit, Suchmaschinen wie vor allem Google vom Zugriff auszuschließen. Rupert Murdoch ist der Anti-Jarvis. Er tut all das, wovor Jeff Jarvis nicht müde wird zu warnen, zuletzt in seiner vielbeachteten Keynote auf den Münchner Medientagen.
Rupert Murdoch ist der heimliche Hoffnungsträger einer gebeutelten Printindustrie, die sich vor den düsteren Szenarien eines Jeff Jarvis fürchtet und deshalb lieber Murdoch zuhört. Hält Murdoch an seinen Plänen fest, Zweifel daran sind erlaubt, dann kommt es 2010 zum Showdown. Es wird sich sehr schnell zeigen, wer Recht behält. An dieser Frage hängt das Überleben einer ganzen Branche.
Axel Springer hat in der vergangenen Woche angekündigt, künftig iPhone-Nutzer von der Nachrichtengebung bei bild.de und welt.de auszuschließen. Sie sollen stattdessen eine iPhone-App installieren und für die Nachrichten von Bild und Welt zahlen. Das Muster ist das gleiche wie im Falle Murdoch: Statt auf attraktive Angebote und die vorhandene Zahlungsbereitschaft des Konsumenten setzt Springer auf Zwang und Ausschluss.
Das erinnert fatal an die Reaktion der Musikindustrie auf die digitale Herausforderung. Mit digitaler Rechteverwaltung (DRM) und der Kriminalisierung einer ganzen Generation versuchte sie, die Büchse der Pandora wieder zu schließen. Was bekanntlich nicht gelang. Es brauchte einen kreativen Zerstörer wie Apple, um der niedergehenden Branche ein modifiziertes Geschäftsmodell zu verpassen.
Wäre die langjährige Agonie der Musikindustrie vermeidbar gewesen? Das ist schwer zu sagen, da sich keiner der bekannten Majors für eine aktive, gestaltende Rolle im durch die Digitalisierung ausgelösten Wandel entschieden hat. Stattdessen haben sie sich auf Blockadeversuche und Destruktion verlegt. Mit bekanntem Ergebnis.
Steht der Printbranche nun eine ähnliche Agonie bevor? Wahrscheinlich. Denn selbst wenn die verzweifelten Versuche gelingen sollten, einen zweiten Erlösstrom neben den Werbeeinnahmen zu genieren (wofür nur wenig spricht), selbst in diesem Fall dürfte der Strom der Werbeeinnahmen dank sinkender Reichweiten weniger kräftig als bisher sprudeln. Und schon bislang war der Strom nicht kräftig genug, um die Kosten der aus einer anderen Epoche überkommenen Produktionsstruktur zu decken.
Die Printbranche wird schrumpfen, weil ihre Bedeutung im Medienmix der Konsumenten und infolgedessen auch der Werbungtreibenden stetig abnimmt. Das ist ein säkularer Prozess, der bei den Tageszeitungen zum Beispiel bereits in den frühen 80er Jahren begann. Zugleich steht sie aber auch durch die Digitalisierung immer stärker unter Druck. Denn die aus dem Geschäft mit gedruckten Medien gewohnten Oligopolrenditen lassen sich in digitalen Medien schlichtweg nicht erzielen.
Dafür sorgt schon der Wettbewerb. Nur ein Beispiel von vielen ist Craigslist, das aus dem Milliardengeschäft mit Kleinanzeigen in den USA ein Millionengeschäft gemacht hat. Allein durch Craigslist sind der Printindustrie allein in den USA Milliardenumsätze durch die Lappen gegangen.
Ähnliche Erosionsprozesse nagen an allen Ecken und Enden des gewohnten Umsatzniveaus der Branche. Der Umsatz sinkt stärker als die Reichweite und die relative Bedeutung im Medienmix. Das ist ein schmerzhafter Prozess, der die Verlagshäuser dazu zwingen wird, ihre Apparate drastisch zu verkleinern.
Die Printbranche hätte frühzeitig wissen können, was auf sie zukommt. Wer Nicholas Negroponte (Being Digital,1995), Kevin Kelly (New Rules for the New Economy, 1998) oder das Cluetrain Manifesto (1999) gelesen hatte, der wusste Bescheid. Das eigentliche Versäumnis der Herren in den Chefetagen: Sie hatten fast fünfzehn Jahre Zeit. Und sie haben die Zeit nicht genutzt.

Gratiskultur im Internet

Jedes Jahr im Mai feiert Bensheim MaiWay — ein Kneipen- und Musikfestival, an dem 2009 mehr als 30 Bands teilnahmen und für das über 4.000 Besucher ein Ticket kauften. Die Innenstadt war voll mit Menschen, die bei guter Livemusik einen schönen Sommerabend genossen.
Immer wieder gesellen sich aber üble Gestalten zu den Feiernden, sogenannte Raubkopierer. Sie mischen sich unauffällig in die Menschenmenge, ohne in eine der teilnehmenden Kneipen zu gehen und ein Ticket zu kaufen. Sie hören die Musik, die aus dem Innern nach draußen dringt und feiern mit. Sie betrügen die Veranstalter so um Zehntausende Euro.
Für dieses Phänomen gibt es einen Namen: Gratiskultur im Internet. Außerhalb des Internets gibt es sowas selbstverständlich nicht.

„Wir haben das vergangene Jahr getoppt. Damals kamen 3700 Menschen. Man darf auch nicht die vielen Tausend Feiernden vergessen, die ohne Eintrittsbändchen unterwegs waren“, erklärte Hegenbarth. Die „Maiway“-Macher sind jedenfalls mit Verlauf und Ergebnis der siebten Auflage hochzufrieden.

Die Zukunft des Musikgeschäfts

Dr. Stefan Glänzer, Gründungsinvestor und früherer Executive Chairman von last.fm spricht nach seinem next08-Vortrag über Musik als Bestandteil von Kommunikation und stellt die These auf, dass Musik in Zukunft für jedermann frei zur Verfügung stehen wird. Die Musikindustrie müsse sich neue Einnahmequellen neben dem klassischen CD-Geschäft erschließen, so die nicht ganz neue Schlussfolgerung Glänzers.
Er verweist auf den einzelnen Musiker als kreative Quelle des Musikgeschäfts und spricht über eine neu entstehende Kultur des Musikschaffens durch die neuen Möglichkeiten rückkanaliger mobiler Aufnahme- und Distributionsgeräte. last.fm basiere auf dem Motto „get realtime“, so Glänzer.

Bereits zur next07 sprach Glänzer über individualisiertes Radiohören.

Webwirtschaftsforum

Die drei tollen Tage vor dem Weltwirtschaftsforum in Davos gehören Burda und der DLD-Konferenz in München. Die Mischung von Themen und Teilnehmern stimmt, für jeden ist etwas dabei. Der Veranstaltungsort platzt aus allen Nähten und wäre mit der Hälfte der Teilnehmer auch schon gut ausgelastet.
Auf den ersten Blick überraschte, wie wenig der Börsencrash am Montag in München zur allgemeinen Kenntnis genommen wurde. Ich habe erst über Twitter davon erfahren. Auf Panels und Fluren spielte er keine große Rolle. Das lässt zwei Deutungen zu: Entweder ist die Szene bereits wieder so abgehoben, dass der Rest der Welt für sie keinerlei Bedeutung hat. Oder der Aufschwung der Webwirtschaft hat mit der Börse nur wenig zu tun.
Letzteres halte ich für wahrscheinlicher. Anders als 1999/2000 speist sich der jüngste Boom nicht aus spektakulären Börsengängen und den Ersparnissen unvorsichtiger Kleinanleger. Im Web wird heute echtes Geld verdient und wieder investiert. Zudem steht Risikokapital hinreichend zur Verfügung, auch für Projekte ohne offensichtliches Geschäftsmodell. Doch Gründer und Startups halten das Geld zusammen und sich an die Vorgaben in den Geschäftsplänen. Wer Geld aufnimmt, weiß ziemlich genau, was er damit bezahlen und erreichen will.
Insofern hat das Münchner Webwirtschaftsforum das Web nicht neu erfunden und auch keine neue Versionsnummer erteilt. Der thematische Blick reicht über die Grenzen der eigenen Szene hinaus. Namen wie Craig Venter und Richard Dawkins, um nur zwei zu nennen, stehen für relevante und streitbare Themen jenseits des Webtellerrands.

Eine Erkenntnis aus München: An vielen Stellen, bei vielen Themen zeichnet sich inzwischen ab, wie sich die small pieces des Web zu neuen Medienerlebnissen für die Konsumenten und Geschäftsmodellen für Unternehmen und Startups formieren könnten. Wir haben den inzwischen fast ein Jahrzehnt währenden Niedergang der Musikindustrie gesehen und die jüngsten Meilensteine. Wir sehen ähnliche Trends in Sachen TV: Neben Google/YouTube und Joost/Zennström saßen in München Vertreter von blip.tv und blinkx.com.

Und in der ersten Reihe WPP-Chef Sir Martin Sorrell, der die Bewegtbildpioniere des Web ungerührt nach solch trivialen Dingen wie Umsatz, Kosten, Gewinn und Cashflow fragte und damit Moderatorin Christiane zu Salm blass aussehen ließ. Solche Momente sind es, aus denen die Gesamtinszenierung DLD ihren Zauber zieht.
Wer nicht in München war oder zwar dort war, aber die Sessions verpasst hat, für den gibt es die Videos einige Appetithäppchen bei Sevenload. Bei iTunes sind sie noch nicht, aber das dürfte nur eine Frage der Zeit sein.