Qualitätsjournalismus im Netz

Twitter & Co. bringen nichts für Redaktionen? Klar, weil die wenigsten Journalisten twittern oder bloggen, ein Profil bei Xing, StudiVZ oder gar Facebook haben und E-Mail für das Maximum an digitaler Vernetzung halten. Selbst viele Kollegen, deren Themengebiet just das Internet ist, halten sich möglichst fern von sämtlichen Kommunikations- und Interaktionswerkzeugen, die nicht mindestens 30 Jahre alt sind wie die gute, alte E-Mail.
Thomas Knüwer ist eine der wenigen Ausnahmen, selbst Stefan Niggemeier twittert nicht. Netzökonom Holger Schmidt twittert zwar auch nicht, ist aber immerhin bei Xing und Facebook zu finden und schreibt ein kundiges Blog. Ansonsten weitgehend Fehlanzeige.
Twitter & Co. bringen nichts für Journalisten? Klar, so wie Telefon, Fax und E-Mail nichts gebracht haben außer immer mehr Arbeit. Und immer neue Möglichkeiten der Kommunikation und Interaktion. Wer sich dem verweigert, der bekommt zunehmend größere Schwierigkeiten, die neue Medien- und Kommunikationslandschaft zu verstehen. Als journalistisches Mittel bleibt dann der gute, alte Erfahrungsbericht nach dem Muster „Mein schönstes Ferienerlebnis“.
Es gibt kein Geschäftsmodell für Qualitätsjournalismus im Netz? Selbstverständlich gibt es eines. TechCrunch verdient schon lange Geld, die Huffington Post hat gerade 25 Millionen Dollar frisches Kapital erhalten und wird mit 100 Millionen Dollar bewertet. Die Gründe sind einfach:

There is an inevitable shift from offline to online with people increasingly getting their news media online, and this election proved how powerful the Huffington Post could be,“ said [venture capitalist Fred] Harman, in an interview with BoomTown. „And I think the post-election perception of the Huffington Post has changed in the eyes of advertisers to being a key mainstream news site.“

Insofern mutet die Debatte, die hierzulande geführt wird, in jeder Hinsicht gespenstisch an. Nichts gegen Robert Basic, Spreeblick und Bildblog, gegen Spiegel Online und Heise – aber da müsste doch mehr drin sein. Nicht quatschen, machen!

Das Internet wird Prime-Time

Zwei Folien aus der Präsentation zur gestrigen Bilanzpressekonferenz lohnen einen zweiten Blick, auch wenn die ARD/ZDF-Onlinestudie 2008 schon wieder ein paar Monate auf dem Buckel hat.
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Für die 14- bis 19-jährigen Nutzer ist das Internet schon heute Medium Nummer 1, vor Fernsehen, Tonträgern (!) und Radio. Das ist ein Vorgeschmack auf die langfristige Entwicklung. In der ARD/ZDF-Onlinestudie heißt es dazu:

Für Jugendliche ist das Internet das Allroundmedium,
das nahezu alle Medienbedürfnisse –
Kommunikation, Unterhaltung, Information – befriedigt.
Ihre Mediennutzung ist stark individualisiert
und personalisiert. Communityseiten oder die
abgerufenen AV-Dateien markieren dabei auch ihre
Zugehörigkeit zu ihrer Peer Group. Videoportale
haben für sie häufig die Funktionen des Fernsehens
übernommen, sie bieten Entspannung und Ablenkung,
indem sich die einzelnen Clips zu beliebig
langem Programm verketten lassen.
Ob dieses Nutzungsverhalten nur eine biografische
Phase ist, in der Chatten, Onlinespiele, das
Abrufen von Audio- und Videodateien besonders
spannend sind, oder ob sich hier bereits ein neues,
aktiveres und individualisierteres Medienverhalten
ankündigt, bleibt abzuwarten. Allerdings ist bereits
davon auszugehen, dass die multimediale Mediensozialisation
der heutigen Jugendlichen die Erwartungen
an die multimediale Vernetzung von
Fernseh- und Radioprogrammen der Erwachsenen
von morgen prägen wird.

Noch schwerer wiegt die zweite Veränderung, die das Internet innerhalb von nur drei Jahren vom Schreibtisch ins Wohnzimmer gebracht hat.
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Das Internet wird Prime-Time: Nutzung im Tagesverlauf 2005 vs. 2008
Die nutzungsstärkste Zeit ist heute der Feierabend, den seit mehr als einer Generation das Fernsehen dominiert hattte. Noch einmal die ARD/ZDF-Onlinestudie:

Die Analyse der Internetabrufe im Tagesablauf verdeutlicht,
dass sich die Internetnutzung immer
stärker in den Abend verlagert. Lagen bis vor wenigen
Jahren die Zugriffe der Internetnutzung noch
dominant am Vor- und Nachmittag, war bereits in
2005 keine einheitliche Primetime festzumachen,
da die Nutzungszeiten am Vormittag, Nachmittag
und frühen Abend lagen. Dies hat sich in 2005 verändert.
Zwar ist weiterhin eine erste Primetime
am Vormittag auszumachen, zum Beispiel für die
E-Mail-Kommunikation und den Informationsupdate,
aber die primären Nutzungszeiten liegen nun
am Vorabend und in der Fernseh-Primetime zwischen
20.00 und 22.00 Uhr
.
Zentrale Anwendungen am späteren Abend sind
Angebote, die – im Gegensatz zu den Anwendungen,
die vormittags genutzt werden, – unter den
Begriffen Unterhaltung und Communitys subsumiert
werden können: Es werden Videoportale und
Spieleseiten aufgerufen, man vernetzt sich mit
Freunden, chattet und tauscht sich aus. Parallel
dazu wird teilweise ferngesehen.

Das Fernsehen wird zum Begleitmedium wie früher das Radio.

Pflichtlektüre: Acta 2008

Der interaktive Konsument revolutioniert das Marketing. So lautet unser Mantra auf dem Fischmarkt. Diese Revolution gleicht in ihrem konkreten Verlauf einer Evolution mit hohem Tempo. Wie diese revolutionäre Hochgeschwindigkeitsevolution verläuft, hat vor knapp zwei Wochen die hier bereits erwähnte Allensbacher Computer- und Technikanalyse 2008 (Acta) mit eindrucksvollen Details gezeigt.

Kaufentscheidungen werden im Internet getroffen: Ohne Internet läuft im Einzelhandel nicht mehr viel. Obwohl nur etwa 20 Milliarden Euro und damit ein kleiner Teil des Umsatzes tatsächlich im Internet anfallen, werden immer mehr Kaufentscheidungen im Netz gefällt. 98 Prozent der rund 40 Millionen Internetnutzer in Deutschland zögen das Netz regelmäßig für Produktrecherchen zu Rate. Dabei habe das Web 2.0 eine schnell wachsende Bedeutung: Schon 17 Millionen Konsumenten berücksichtigten Kommentare anderer Internetnutzer oder Diskussionsforen in ihrer Produktrecherche.

Das Internet gewinnt als Nachrichtenmedium an Bedeutung, Fernsehen und die gedruckte Presse verlieren: Für Akademiker unter 40 ist es sogar erstmals wichtiger als die Zeitung. Mit dem Internet verschiebe sich nicht einfach nur das Mediengefüge – es entstehe eine neue Informationskultur und auch ein neues On-Demand-Informationsverhalten:

  • Die Nutzung von Informationen erfolgt zunehmend anlass- und ereignisgetrieben, der habituelle Griff zu Zeitung oder Fernbedienung ist passé.
  • Die Nutzer reagieren auf die Informationsfülle mit einer Verengung ihres Interessenspektrums.
  • Die Nutzer konzentrieren sich stärker auf Informationen, die ihnen persönlich etwas nützen – wie etwa Reviews neuer Informationstechnik.

Die Konsequenz für Medienmanager: Sie können nicht einfach nur alte Medienkonzepte ins Netz stellen, sie werden sich auf eine neu strukturierte Öffentlichkeit einzustellen haben. Ein neues Medium kann nicht nur alte bedrängen, es kann auch die dominante Kommunikationskultur verändern.

Tabellen und Schaubilder zu den Vorträgen bei der Acta-Präsentation 2008:

Die seltsame Welt eines Medienjournalisten

Aus der Sicht eines altgedienten Medienjournalisten muss das Internet irgendwie seltsam aussehen. Das jüngste Beispiel ist der heutige FAZ-Leitartikel von Michael Hanfeld, den ich zwar zum Lesen empfohlen habe, aber weitgehend für Blödsinn halte. Da droht der

Zugriff der Suchmaschinenzampanos, deren Geschäft allein darin besteht, Verbindungen zu Inhalten herzustellen, die von der Presse mit erheblichem Kostenaufwand produziert werden.

Da sind Google, Yahoo und Microsoft

global operierende Internetkonzerne, denen die Politik keine international gültigen Regeln auferlegen kann oder will.

Regeln müssen sein, das ist für einen Medienjournalisten sonnenklar und seine wichtigste Sorge. Google-Traffic hingegen, nach dem sich so mancher im Web an die Decke streckt, ist irgendwie böse. Eine seltsame Welt, in der Michael Hanfeld lebt. Eine redaktionsinterne Diskussion mit dem FAZ-Netzökonomen Holger Schmidt stelle ich mir interessant vor.
Hanfelds Hauptthema, -sorge und -gegner sind die Öffentlich-Rechtlichen und deren Aktivitäten im Internet, die anders als das segensreiche Wirken der Verlage mit Gebührengeldern (und nicht mit Werbung) befeuert werden. Seine Sorge ist, dass ARD und ZDF den Verlagen im Web das Wasser abgraben.
Schon seltsam angesichts der gewaltigen Summen auf den Konten von Google, Microsoft oder auch der Telekom, gegen die sich acht Milliarden Euro Gebührengeld eher bescheiden ausnehmen. Insbesondere, weil davon vor allem Fernsehen und Radio gemacht werden und nur ein Bruchteil ins Internet fließt.
Noch seltsamer aber, wenn wir die real existierenden Bemühungen der Verlage im Web in Betracht ziehen. Stefan Niggemeier, auch ein Medienjournalist übrigens, hat gerade wieder wortreich dargelegt, wie sich die Mehrzahl der Verlage gerade im Web von journalistischen Standards verabschieden.
Und was hat die Internetstrategie von Burda oder Holtzbrinck mit Journalismus zu tun? Da geht es doch eher darum, möglichst viele Beteiligungen zusammenzukaufen, die möglichst wenig mit Journalismus zu tun haben. Dann klar ist eines: Es gibt bis jetzt kein Geschäftsmodell für klassischen Journalismus im Web. Wird es jemals eines geben?
Oder muss sich nicht vielmehr der Journalismus den Bedingungen des inzwischen gar nicht mehr so neuen Mediums anpassen? Und ist er nicht dort, wo er das in den letzten zehn Jahren getan hat, auch erfolgreich geworden? Dass die meisten deutschen Verlage im Web versagt haben, ist nicht die Schuld der Öffentlich-Rechtlichen.

Felsbrocken und Kiesel

Charles Leadbeater (We Think) hat eine treffende Metapher für den Unterschied zwischen den alten und den neuen Medien: Die alte Medienlandschaft ist war wie ein mit Felsbrocken übersäter Strand, die heutige ähnelt eher einer steigenden Flut von Kielsteinen.

The traditional media landscape is like a beach with boulders, the BBC boulder, the News Corp boulder; some sometimes join to create even biggest boulders. Now the beach is a rising tide of pebbles, and many people are coming and dropping their pebble on the beach: basically we are all in the pebble business now. The models of the future are about how we link these pebbles together to create added value, to create something that it’s more than a loose assembly. Can we match a growing capacity to participate, to contribute, with our ability to collaborate, to build, to make more complex and durable products? [aufgezeichnet von Bruno Giussani]

Leadbeater, ein ehemaliger Berater von Tony Blair, eröffnete heute die PICNIC mit einer völlig ohne Folien in freier Rede vorgetragenen Keynote über Collaborative Creativity, das Thema der diesjährigen Konferenz. Ein breites Thema.

It not just applies to high tech, new media, and culture, but also to social challenges – like the environment. Collaborative action is not just about new things, but about very broad challenges. We’ll have to bring different people together. [aufgezeichnet von Ernst-Jan Pfauth]

Nicht jede Art der Zusammenarbeit führt jedoch zur Kreativität. Es kann zu viel Konsens geben – das Resultat ist Langeweile – oder zu viel Chaos – was zu keinem Ergebnis führt. Leadbeater nennt fünf entscheidende Bedingungen für kollaborative Kreativität:

  • Diversity is king, participants need to think differently and have different knowledge.
  • Give people ways to contribute. They need really simple ways to add their piece of information.
  • Connect people with each other by using the most suitable technology
  • The most important one: participants must have a shared sense of purpose and an individual sense of pay-off. Use a mascot or something.
  • Communities need to have some element of structure to make decisions.
  • [aufgezeichnet von Ernst-Jan Pfauth]

Am Ende seiner Rede spricht Leadbeater eine Frage an, die auf geheimnisvolle Weise im Herbst 2008 wieder aktuell geworden zu sein scheint. Ist das alles von Dauer? Oder übernehmen die Kräfte der Beharrung irgendwann wieder die Macht? In den Redaktionen führender deutscher Tagezeitungen scheint die Hoffnung noch nicht ausgestorben, das Internet werde irgendwie schon wieder verschwinden.

Is the Internet going to be this brief moment of collaboration, a weird, wacky moment where people want to share? Or is this a permanent change? Leadbeater closes by referencing Sir Tim Berners Lee, who was recently asked whether our social ambitions were too grand for the web. He offers the advice, the danger is not that we ask too much of the internet, but that we ask too little. [aufgezeichnet von Ethan Zuckerman]

9/11

Der 11. September 2001 war mein zweiter Arbeitstag bei SinnerSchrader. Das Wetter war ähnlich wie heute in Hamburg: sonnig und spätsommerlich warm. Ich war dabei, mich mit meinem neuen Arbeitgeber bekannt zu machen. Alles war neu und aufregend.
Mein Schreibtisch stand in einem Großraumbüro im ersten Stock der Planckstraße 13 in Hamburg-Ottensen, nur wenige Schritte vom heutigen SinnerSchrader-Büro entfernt. Außer Mark Pohlmann, damals mein Chef, und mir saß dort die Online-Redaktion – ein entfernter Vorläufer unserer heutigen Konzeptioner, wenn man so will.
Im alten Industriebau herrschte eine stille und konzentrierte Atmosphäre wie im Skriptorium einer Abtei. Gegen drei Uhr am Nachmittag unterbrach ein Redakteur, mit dem ich Rücken an Rücken saß, unser aller Arbeit. Ein Flugzeug sei ins World Trade Center geflogen, meldete Spiegel Online. Wir waren irritiert.
Es dauerte noch einige Zeit und mehrere Updates bei Spiegel Online, bis die Nachrichtenlage sich verdichtete. Ein Attentat. Es gab damals einen kleinen Aufenthaltsraum mit Fernseher, auf dem wir die ersten Bilder aus New York sahen. Die brennenden Türme, das zweite Flugzeug.
An Arbeit war nun nicht mehr zu denken. Das Fernsehen zeigte Katastrophenbilder, auf dem Rechner stieß das Web 1.0 an seine Grenzen. Spiegel Online, CNN.com & Co. waren nur schwer erreichbar oder reduzierten ihre Präsenz auf das eine Thema, das es jetzt noch gab.
Dass der erste Turm eingestürzt war, begriffen wir zuerst gar nicht. Die Bilder im Fernsehen erschienen uns irreal wie aus einem Katastrophenfilm. Gigantische Staubwolken. Und das Web war noch schwach und konnte kaum zur Aufklärung beitragen. Dann brach der zweite Turm zusammen.
Der Kollege, der die Meldung zuerst gesehen hatte, nahm an jenem 10. September seinen Abschied von SinnerSchrader. Nach Feierabend saßen wir auf dem Hof der Planckstraße 13 beim Bier. Er wollte in die USA, ob im Urlaub oder für länger, weiß ich nicht mehr. Es war, vorsichtig gesagt, ein mulmiges Gefühl.
Der 11. September 2001 war ein Meilenstein beim Niedergang der Internetwirtschaft. Vielen Start-ups war schon zuvor die Luft ausgegangen. Ich selbst kam gerade von einem Start-up, das in jenen Septembertagen Insolvenz anmelden musste. Nach dem 11. September strichen viele große Unternehmen ihre E-Commerce- und Internet-Budgets zusammen. Das traf Dienstleister und Agenturen. Die Internetwirtschaft fiel in einen Winterschlaf, der fast drei Jahre andauern sollte.
SinnerSchrader zog Ende September in eine große Halle nach Bahrenfeld und blieb dort für knapp fünf Jahre. Aus 270 Mitarbeitern, die im September 2001 bei uns arbeiteten, wurden bis Ende 2003 nur noch 130. In der Halle war genug Platz, um 2006 mit 1.000 Gästen unser Zehnjähriges zu feiern und eine Konferenz zu veranstalten. Nur wenige Kollegen mussten dafür ihren Schreibtisch verrücken.
2006 war das Jahr des Web 2.0 und der neuen Aufbruchstimmung. SinnerSchrader zog zurück nach Ottensen. Die Internetwirtschaft hatte sich seit 2004 wieder vom Schlafe erhoben. Es gab wieder Start-ups und neue Projekte in den Unternehmen. Der zweite Aufschwung läuft weniger stürmisch als zu Zeiten der New Economy, aber nachhaltiger. Und er hält nun schon vier Jahre an.
Der 11. September 2001 war der Moment der größtmöglichen Verunsicherung. Die Folgen des 11. September wirken auch in der Internetwirtschaft bis heute nach. Wenige Wochen später meldete Popnet Insolvenz an. Kabel New Media war schon im Sommer pleite gewesen. Die Agenturszene war im Umbruch, und SinnerSchrader mittendrin.

Benzinkutschen und Eisenbahnen

Natürlich kommt heutzutage kein Medienkongress mehr ohne Gesprächsrunden mit solch einfallsreichen Titeln wie „Chancen und Risiken der Digitalisierung“ aus. Alte Männer in maßgeschneiderten Anzügen und mit selbstzufriedenen Untertönen in den Stimmen erzählen auf diesen Podien dann immer wieder gerne, dass speziell ihre Fernsehsender starke Marken besäßen, hervorragend aufgestellt und gewappnet für die digitale Revolution seien, dass die Zukunft sowieso nur irgendwie eine buntere Version der Gegenwart und überhaupt sooo schlimm schon nicht werden wird.

Zu solchen Gelegenheiten darf auch Gerhard Zeiler, Vorstandschef der RTL-Gruppe, so lustige Sätze sagen wie: „Das traditionelle Fernsehen wird auch in der digitalen Zukunft das Leitmedium Nummer eins bleiben.“ Klar, Herr Zeiler, und diese kleinen, knatternden, benzingetriebenen Fahrzeuge werden nie zu einer Konkurrenz für eine anständig dampfende Eisenbahn.

Das Verhältnis zwischen Benzinkutschen und Eisenbahnen ist ein hübsches Beispiel für das, was die klassischen Massenmedien derzeit so umtreibt. Das Versprechen, mit dem Henry Ford seine T-Modelle unters Volk brachte, lautete genau genommen: Freiheit.

Das Internet ist das Ford-T-Modell der Medienwelt. Es gibt den Menschen Mobilität; es ermöglicht individuelle Wissens- und Unterhaltungsausflüge. Es ist ein Vehikel für Selbstfahrer, für Abenteurer und Ausflügler. Lineares Broadcast-Fernsehen dagegen ist Konsum nach Fahrplan und steuert viele hochinteressante Orte und Themen gar nicht erst an. Zu geringe Auslastung. Lohnt sich nicht. Strecke stillgelegt, Sendung abgesetzt.

Wenn ich heute lese, was Mario Sixtus den Fernsehmachern ins Stammbuch schreibt, dann finde ich die Geisterdebatte um die Frage, ob den öffentlich-rechtlichen Sendern der Zugang zum Internet gewährt werden sollte, noch viel gespenstiger.
Das ist ungefähr so sinnvoll wie die Debatten in den 80er Jahren um Satelliten- und Kabel-TV. Falls sich noch jemand erinnert – auch damals forderten die Vertreter der privat-kommerziellen Medien, seinerzeit überwiegend Verleger mit TV- und Radioambitionen, dass nur ihnen die neuen Distributionswege überlassen werden dürften. Was ihr gutes Recht ist, aber ebenso selbstverständlich auch kompletter Unsinn.
Wer ARD und ZDF abschaffen möchte, der möge das bitte offen sagen.

Wozu wir noch Journalisten brauchen

Meine leicht polemisch gefärbte Analyse, warum Journalisten das Web nicht mögen, hat eine Reihe von interessanten Repliken erzeugt. Eines der wiederkehrenden Gegenargumente ist der Glaube, dass wir Journalisten auch weiterhin brauchen. Das stimmt wahrscheinlich sogar. Die Frage ist aber, wozu eigentlich.

Die Einordnung und „Reduktion von Komplexität“, wie die Medienwissenschaftler sagen, kann durchaus auch eine Aufgabe für Journalisten im Web darstellen. Hunderte abonnierter Feeds, aber keiner sagt mir, welcher wichtig ist.

Doch. Allerdings sind es keine Journalisten, die mir das sagen. Es sind Techmeme, Rivva, Digg, Friendfeed und Twitter (z.B. Twitlinks). Es sind Maschinen, die von Menschen gefüttert werden, wie immer, wenn wir von Medien sprechen. Sie sind dabei, den Journalisten ihre Selektionsfunktion abzunehmen. Es wird noch dauern, bis es flächendeckend soweit ist. Aber der Trend ist klar.

Der menschliche Faktor ist das, was den Journalismus interessant macht.

Wenn ich mich recht entsinne, dann hatte der Journalismus einst einen Objektivitätsanspruch – an dem er freilich vielfach scheiterte, was verständlich ist, da Menschen involviert sind. Im Unterschied zum Journalismus war das Blogging mit einem Subjektivitätsanspruch angetreten – und auch damit oftmals grandios gescheitert.
Objektivität ist veraltet. Sie wird nur in Medien gebraucht, die den Gesetzen der physischen Knappheit unterworfen sind. Wenn es nur ein Fernsehprogramm gibt, muss das furchtbar objektiv sein, weil es ja außerhalb des eigenen Kanals keine Gegenstimme gibt.
Schon der Versuch, die Regelungsmechanismen aus öffentlich-rechtlichen Monopolzeiten auf das privat-kommerzielle Fernsehen zu übertragen, ist völlig zu Recht weitgehend gescheitert. Stefan Niggemeier schreibt Romane darüber. Wenn er nicht gerade im Urlaub ist.
Im Web können wir uns Subjektivität leisten, weil Objektivität, sofern sie gebraucht wird, aus der Summe der Subjektivitäten entsteht. Wie in der Wikipedia. Habermas müsste jubeln, aber er versteht das Web nicht.
Das journalistische Produktionsmonopol ist aufgebrochen, heute kann jeder publizieren. Das Selektionsmonopol bricht jetzt ebenfalls auf, Maschinen und kollaborative Systeme sind heute schon besser als es Journalisten je waren. Was bleibt dann noch? Ganz zu schweigen davon, dass die Zahlungsbereitschaft für journalistische Produkte sowohl bei den Konsumenten als auch bei den Werbungtreibenden dramatisch gesunken ist.
Es bleiben PR und Corporate Publishing. Journalisten werden sich als Kommunikatoren und Lohnschreiber für Unternehmen verdingen.
Selbstverständlich werden die klassischen Medien überleben. Sie bewegen sich aber längst in einem schrumpfenden Markt, und dort gelten andere Gesetze als in Wachstumsmärkten. Medienobjekte werden zu Melkkühen umgebaut und auf Rendite getrimmt, Stellen gestrichen und das gesamte Niveau abgesenkt.
Dagegen ist kein Kraut gewachsen. Dass eine Redaktion wie die der Berliner Zeitung nur im Web und ohne gedrucktes Blatt überleben könnte, ist eine wohlfeile Illusion.

Warum Journalisten das Web nicht mögen

Die Antwort ist einfach: Weil es sie arbeitslos macht. Die Journalisten sind die schlesischen Weber des Webs.
Diese These kann ich auch ausführlicher formulieren.

  1. Seit Gutenberg (und vor Gutenberg erst recht) waren Medien den Gesetzen physischer Knappheit unterworfen. Es gab niemals unbegrenzt viele Druckerpressen, Frequenzen oder Sendeplätze. Deshalb konnte nicht jedermann publizieren – vor der Publikation fand eine Auswahl statt. Redakteure wählten aus, was ins Blatt kommt. Frequenzen wurden für bestimmte Zwecke an bestimmte Nutzer vergeben. Im Kampf um Sendeplätze setzten sich aufmerksamkeitsstarke Programme gegen schwächere durch.
  2. Der Auswahlprozess konzentrierte die öffentliche Aufmerksamkeit auf vergleichsweise wenige, dafür aber reichweitenstarke Blätter, Sender und Programme. Mangels Alternativen waren Leser sogar bereit, für bedrucktes Papier Geld zu bezahlen. Außerdem zahlte die werbungtreibende Industrie dafür, ihre Botschaften über die gleichen Medien transportieren zu lassen.
  3. Dieses Mediensystem brauchte verhältnismäßig wenig Texte, Töne und Bilder, um verhältnismäßig viele Medienkonsumenten zu erreichen. Journalisten schufen Wert, indem sie genau diese Texte, Töne und Bilder anfertigten. Das werden sie auch weiterhin tun, aber…
  4. Im Web findet die Auswahl erst nach der Publikation statt. Ökonomen würden sagen, dass die Markteintrittsbarrieren niedrig sind. Wer möchte, kann publizieren, und viele tun das auch. Dadurch wächst das Angebot der publizierten Texte, Töne und Bilder sehr viel schneller als die Nachfrage.
  5. Dies hat zwei für die Einkommen von Journalisten fatale Folgen: Die Aufmerksamkeit der Medienkonsumenten verteilt sich auf immer mehr Medienprodukte, die Reichweiten sinken, und damit schrumpfen auch die Erlöse aus Werbung und Verkauf. Geringere Erlöse führen zu Stellenstreichungen und Einkommenseinbußen. Das wachsende Angebot erhöht den Preisdruck für journalistische Arbeit zusätzlich.
  6. Nun ist das Angebot am Arbeitsmarkt der Medienwirtschaft traditionell höher als die Nachfrage, was den Löhnen und Preisen für journalistische Tätigkeit noch nie besonders gut getan hat. Medienhäuser können daher den Preisdruck relativ einfach an ihre Mitarbeiter und Lieferanten weitergeben: Gehälter und Honorare sinken.

Wie die schlesischen Weber durch die Industrialisierung verlieren die Journalisten durch das Web ihr Einkommen. Zwar nicht alle, nicht alles und auch nicht sofort, aber der Trend ist klar. Und deshalb ist auch klar, warum Journalisten das Web nicht mögen.